11.972 km
Am nächsten Vormittag beim iranischen Konsulat klappt alles hervorragend. Binnen 2,5 h erhalte ich das Visum. Den dazu notwendigen „Letter of Invitation“ hatte ich bereits einen Monat vorher per Internet beantragt und genehmigt bekommen. Dieser wurde ans Konsulat weitergeleitet. Ich erreiche sogar noch den bereits in Van gebuchten Mittagsbus zurück.
Die Rückfahrt ist lang und ermüdend. Landwirtschaftlich genutzte Täler, karge baumlose Hügellandschaften und poröser Felsen vulkanischen Ursprungs wechseln sich ab. Dazu ein fortwährend telefonierender Busfahrer. Bei Langstreckenbusfahrten sitzen Frauen nicht neben Männer, sofern sie nicht zusammengehören.
In Van bleibe ich die nächsten zwei Tage. Schone mich ein wenig um endlich meinen nachtaktiven schlafraubenden Husten loszuwerden.
Schlendere ein wenig durch die Stadt und besuche die am See liegende mächtige Burg. Auf dem Rückweg hält neben mir ein Auto und ein deutschsprechender Kurde nimmt mich mit zurück in die Stadt. Er war sechs Jahre in Deutschland, musste dann aber das Land verlassen. Sein Familienclan betreibt in der Innenstadt einen „Kadayifci“, das ist ein cafè-ähnliches Restaurant, in dem die honigsüßen Teilchen angeboten werden. Ich erhalte dort einen Tee und türkischen Kaffee sowie eine Portion Süßes. Der türkische Tee wird mit Löffel zum Umrühren des Zuckers gereicht. Beim kurdischen Teetrinken (gleicher Tee) wird der Würfelzucker in den Mund genommen und der Tee nachgekippt.
Am Montag fahre ich über kleine und große baumlose Hügel entlang des Van-Sees. Nach 70 km verlasse ich diesen großen See endgültig. Ich biege in ein Tal ein, welches mich in die Höhe führen wird. Laut mehreren Berichten im Internet führt die vor mir liegende Strecke durch Dörfer mit Steine werfenden aggressiven Kindern. Einen erreichbaren Übernachtungsort gibt es wohl auch nicht.
Um beide Schwierigkeiten auszuschließen möchte ich die nächsten 100 km in einem Dolmus (Sammeltaxi) zurücklegen. Leider fährt das Dolmus nicht die gesamte Strecke sondern nur in den 30 km entfernten Ort. Eine Weiterfahrt ist leider nicht möglich. Der diesmal große Bus nimmt mein Fahrrad nicht mit. Ich finde im Ort ein sehr schäbiges „Grand“-Hotel ohne warmes Wasser für Nacht. Am nächsten Morgen beim Teetrinken auf der Straße erfahre ich, dass um 8 Uhr ein Dolmus nach Dogubeyazit fährt. Der letzte größere Ort vor dem iranischen Grenzübergang. Mein Rad kommt aufs Dach, Gepäck vor die Füße und nach hinten. Bei der Abfahrt verabschieden sich die jungen Männer von ihrem Vater gebeugt und mit Handkuss. Die Familie ist wichtig, die Jüngeren brechen (noch) nicht aus.
Die karge vulkanisch geprägte Gebirgslandschaft, die wir durchfahren, gefällt mir sehr. Dafür hätte ich gerne den 2600 m hohen Pass in Kauf genommen. Trotzdem ist es für mich beruhigender im Auto zu sitzen. Einmal genügt, wenn Steine an mir vorbeifliegen.
Bedrohlich sind die vielen Militäranlagen, die auf den Bergen installiert sind.
Bei der Ankunft in Dogubeyazit zeigt sich der biblische Berg Ararat (5137 Meter) leicht im Dunst. Erhaben ragt er mit seiner Schneekuppe hoch in den Himmel.
Am Nachmittag fahre ich mit einem Taxi zum osmanischen Izak Pascha Palast aus dem 17. Jh., der auf einer Anhöhe etwas außerhalb der Stadt liegt. Von hier aus kontrollierten die Herrscher die Region Ost-Anatoliens.
Am nächsten Morgen werde ich die Türkei verlassen. Fast ein halbes Jahr und 4000 km bin ich durch das Land gefahren. Habe die kalte Jahreszeit bei gemäßigten Temperaturen an der touristenfreien und geschichtsreichen Mittelmeerküste langsam vorankommend verbracht.
Unzählige Male werde ich zum Tee eingeladen und oft in Deutsch angesprochen. Wenn es um Deutschland geht steht bei jüngeren Leuten die Kenntnis über Fußball an erster Stelle. Kann da leider nicht mithalten.
Die türkische Gesellschaft ist eine Männergesellschaft. In den Teestuben plaudern und spielen sie beim Cay. Ich habe nie eine Frau dort sitzen gesehen. In Restaurants, im Verkauf (selbst von Damenunterwäsche) sind fast ausschließlich Männer tätig.
Das Handy ist dauernd im Einsatz. Jedes Gespräch wird durch ein Klingeln direkt unterbrochen. Selbst beim Bezahlen an der Kasse stockt alles beim ersten Ton.
Erstaunt hat mich der gute Zustand bzw. die rege Bautätigkeit am Straßennetz. Die Überlandstraßen sind bzw. werden autobahnmäßig ausgebaut mit breitem Randstreifen. Die Verkehrsdichte ist meist mäßig. Auch in den Städten herrscht rege Bautätigkeit.
Da könnte man denken, die Wirtschaft boomt. Ich kann es nicht beurteilen. Industrieansiedlungen sah ich nicht übermäßig viele und diese nur in den Zentren.
Bis auf einen Zwischenfall mit Steine werfenden Jugendlichen habe ich nur gute Erfahrungen gemacht, hilfsbereite interessierte und ausgesprochen gastfreundliche Menschen getroffen. Es waren ausnahmslos Männer, junge und alte, mit denen ich in Kontakt kam. Ich fühlte mich wohl und sicher in diesem abwechslungsreichen Land.
Morgen fahre ich in den Iran. Voller Spannung erwarte ich dieses unbekannte Land.