Jun 222012
 

66. Reisetag

3192 km

 

Der Wind blies von vorne. Der Regen zog von hinten auf. Ab frühen Mittag begleitete er mich den ganzen Tag.
Um den Verkehr auf dem Trans Canada Highway zu vermeiden, wählte ich eine Nebenroute. Sobald Winnipeg hinter mir lag wurde es ruhig auf der Straße. Felder, Busch, Wald und Sumpf wechselten bei flacher Landschaft ab. Ein Reh stand am Straßenrand, sonst gab es keine erwähnenswerte Ereignisse. In den Dörfern ist auch nichts los. Um wenigsten etwas Aufmerksamkeit zu erhalten werden die Ortsnamenschilder mit weiteren Informationen versehen: Geburtsort von Hockeyspieler xy, bekannteste Hebamme der Region oder größte 4. Hockeyliga u.a. Der Ort Rennie brachte es auf den Punkt.

Am Abend in der Dorfbar (in meiner Unterkunft) eine Pizza gegessen. Vor dem Bestellen hatte ich glücklicherweise herausgefunden, dass Peperoni eine Wurstsorte ist. Generell wird eine Bar dunkel gehalten. Falls Fenster vorhanden, werden diese Lichtdicht verschlossen.
Am nächsten Morgen im Nebenraum (mit Fenster) gefrühstückt. Es trafen sich zum Kaffeeklatsch die älteren Herren des Ortes. Es wird nur Kaffee getrunken. Ein kostenloser Refill ist selbstverständlich. So ein Herrenkreis war mir an vielen Orten aufgefallen.

Draußen schien endlich mal wieder die Sonne. Der Wind kam von hinten. Eine Freude sich von ihm treiben zu lassen. Mit dem verschwinden der letzten Felder hatte ich die Prärie verlassen. Busch und Wald dominieren, durchsetzt von kleinen bis großen Seen mit Sumpflandschaften. Felsen treten zu Tage – die Gesteine des kanadischen Schildes.

Der Kanadische Schild ist der geologische Kern des nordamerikanischen Kontinents. Er umfasst die nördliche Hälfte des Halbkontinents und besteht aus Gesteinen, die zum Teil mehrere Milliarden Jahre alt sind. Während der letzten Kaltzeiten war der Kanadische Schild nahezu vollständig von Inlandeis bedeckt, seine Oberflächenformen sind noch heute durch das damalige Inlandeis geprägt. Es gibt keine bizarren Felsformationen. Die Landschaft ist geprägt durch den Wechsel von kleinen und großen schildförmigen Erhebungen mit vielen Seen in den Senken. Im Klartext: es geht immer rauf und runter.

An einem See mit vielen Wildgänsen machte ich Halt. Sah die ersten Pelikane (Foto von ihrem Abflug).
Am Abend war Zelten angesagt. An einem kleinen See auf einem offiziellen Campingplatz ohne Dusche und Trinkwasser.

Der lang verschwundene Trans Canada Trail tauchte wieder. Am nächsten Morgen auf ihm gestartet. Der Trail war sandig, zugewachsen und manchmal etwas zu steil. Bei meiner reduzierten Fahrgeschwindigkeit konnten selbst fliegelahme Bremsen mich verfolgen. Bei der nächsten Gelegenheit wieder zum wenig befahrenen Highway gewechselt. Dort umkreisten mich deutlich weniger Plagegeister.

Die ruhige Straße hatte bald ein Ende. Die Fahrt ging weiter auf dem vielbefahrenen Trans Canada Highway mit breiten Seitenstreifen. Ich erreichte die Provinz Ontario. Sie ist fast dreimal so groß wie Deutschland und hat eine West-Ost-Ausdehnung von 2000 km. Fast 20% der Fläche ist mit Wasser bedeckt. Es soll über 250.000 Seen geben. Die nächsten Wochen werde ich in dieser Provinz reisen.

Heute ist der Campingplatz in Kenora mein Ziel. Er liegt am Lake of the Woods, ein 4.500 Quadratkilometer großer See mit vielen Inseln. Wer genug Geld hat kann sich eine der über 14.000 Inseln auf diesem See kaufen. Die Stadt ist eher langweilig, so dass ich morgen weiterfahren werden. Die Strecke wird wieder einsam. Die nächst größere Stadt ist 500 km entfernt, dazwischen liegen nur 2 kleine Orte.

Verzögerungen beim nächsten Blog sind also möglich.

Jun 192012
 

63. Reisetag

2934 km

 

Nach fast 3000 Fahrradkilometer bin ich in der Mitte Kanadas angekommen, zuzüglich 1000 km Bahnfahrt. Die Stadt Winnipeg ist für mich die erste Großstadt nach Vancouver. (Edmonton hatte ich nachts mit dem Zug durchfahren.) In ihr leben ca. 670.000 Einwohner, fast 60% der Bevölkerung Manitobas.

Die Bevölkerung ist gegenüber den ländlichen Gebieten wieder multikulturell.
In Winnipeg leben viele Dunkelhäutige, die Nachkommen der Ureinwohner Kanadas, in meist ärmlichen Verhältnissen.
Grundlage für die „Verwaltung“ der Urbevölkerung ist in Kanada der Indian Act (Indianergesetzbuch), das im Laufe der 200 Jahre verschiedenen Reformen unterlag, nie jedoch den Ureinwohner als gleichberechtigt anerkannte. Es wurde nie versucht die indianische soziale Struktur zu erhalten. Sie wurde durch das westliche Gesellschaftssystem zerschlagen. So ist die Lage der Indianer trotz staatlicher Unterstützung miserabel und aussichtslos.
Viele Reservate sind heruntergekommen. Das Einkommen wird (wegen der Steuerfreiheit) durch Kasinos verdient. Der Alkoholkonsum ist ein großes Problem, die Kriminalitätsrate hoch.

Wie alle Städte in Kanada ist Winnipeg eine junge Stadt. In einem Stadtteil gibt es aber renovierte Warenhaus- und Kontorgebäude aus der Zeit um 1900. Dort sind kleine Restaurants, Cafés und Geschäfte untergebracht. Hier fühle ich eine gewisse Atmosphäre.
Der neue Teil mit den Shopping Malls könnte in jeder Stadt stehen.
Ein nicht beeindruckendes Chinatown gibt es auch.

Wenige Wolkenkratzer ragen in den Himmel. Zur Zeit wird an einem großen Museum gebaut. Ich weiß nicht ob es schön wird, eher bizarr modern. Man möchte etwas Auffallendes bauen. Ein Museum zur Geschichte und Bevölkerung der Provinz Manitoba gibt es bereits. Ich hatte es heute besucht.

Schön für das Auge sind die vielen Wandmalereien. Sie lenken von den sonst weniger anspruchsvollen Gebäuden ab.
Mein Essen ist wieder vielseitig geworden. Kann zwischen indischen und vegetarischen Restaurants auswählen.
Zwei Tage Stadt genügen mir. Freue mich auf meine Weiterfahrt morgen.

Jun 172012
 

 

61. Reisetag

2905 km

 

Ich lebe zeitlos. Für mich ist es nicht wichtig zu wissen, dass ich unbemerkt eine Zeitzone überschritten hatte. Stelle meine Uhr aber um 1 h vor auf die Central-Time.

Der Wind blies wieder günstig am Morgen Richtung Osten. Auf dem wenig befahrenen Highway kamen mir zwei junge Schweizer entgegen. Wir unterhielten uns ein wenig. Dann fuhr jeder in seine Richtung weiter. Ich finde es noch gut alleine unterwegs zu sein. Ich glaube nicht, dass ich mich einem Langzeitradler anschließen möchte.

Die Orte auf meiner Fahrt durch die Prärie liegen ca. 40 bis 70 kam auseinander. Dazwischen vereinzelt die Gehöfte der Farmer. Von weitem schon auszumachen an einer Ansammlung von Wellblechsilos und von Bäumen umgeben. Ein sehr gepflegter, kurz gehaltener Rasen war immer vorhanden. Da Samstag war, wurde dieser gemäht.
Die Schilder vor den Farmen wiesen häufig auf eine Firma hin. Die industrielle Bewirtschaftung hat wohl bereits viele Familienbetriebe verdrängt.

Für mich bleibt die Frage offen was mit dem Gras der vielen Weiden geschieht? Milchlaster sah ich nicht. Kaum Kühe auf den Weiden und wenig große Ställe.
Der Feldanbau wurde etwas vielseitiger. Mais, Kartoffeln und Raps erweiterten das Duo von Weizen und Weide.
Der Frühling ist vorbei, wenige Flieder blühen noch.
Ein langer Güterzug bildete die Grenze zwischen Feld und Himmel.
Die Holzschindeln wie auf den Ställen und der Kirche faszinierten mich schon immer.

Am nächsten Tag fuhr ich auf einer kleinen Nebenstraße einen großen Bogen, um den stark befahrenen Highway 1 zu meiden. Es war eine sonntägliche Ruhe. Kaum ein Auto unterwegs, die Landschaft flach bei etwas Gegenwind. Der Vogel mit dem roten Fleck zirpte. Es quakten Frösche im Graben neben der Straße. Ein Stelzenvogel mit markantem Schrei tauchte auf. Vorher hatte ich ihn nie gesehen.

Die Weite der Landschaft und das gleichmäßige Fahren ließen die Gedanken in mir fließen.
Könnte ich immer weiterradeln, auch in den nächsten Jahren? Finde ich meine Ruhe und Erfüllung? Wie lange würde ich es genießen? Was möchte ich eigentlich? Eine Antwort gibt es natürlich nicht. Dankbar bin ich, dass ich gesund bin und bei Kräften.
Im Gebirge war ich beeindruckt von der Schönheit der Natur und der Gewaltigkeit der Umgebung. Das Staunen und die Anstrengung nahmen viel Raum ein. Gedanken über den Sinn meiner Reise und über mich konnten dort nicht entstehen.

Nach 80 km wurde ich vom Verkehr auf dem Highway 1 wieder eingeholt. Ich musste aufpassen. Winnipeg war bald erreicht.

Jun 152012
 

59. Reisetag

2696 km

 

Die bisherigen Erlebnisse bleiben in guter Erinnerung. Ein neuer Reiseabschnitt beginnt.

Vom Zug aus sehe ich die Prärie. Der Himmel nimmt den meisten Raum ein. Er ist blau mit einigen Kumuluswolken. Die Landschaft ist flach bis leicht hügelig. Buschland, riesige Weiden, abgeerntete und bereits eingesäte Felder mit dem ersten Grün. In den Senken sammelte sich Wasser, zu größeren und kleineren Seen oder es sind einfach Überschwemmungen.

Erdölpumpen und Gasförderanlagen standen im Westen der Prärie auf den Feldern. Kanada ist Erdölexporteur. In der Kritik ist das Öl aus den Schiefern und Sanden. Die Förderung ist extrem umweltverschmutzend. Die USA verweigert die Einfuhr dieses Öles. Die EU berät noch darüber.

Der Zug hielt bis 17 Uhr nur in zwei Orten. Beim zweiten Halt stieg ich aus.
Die Prärie unterteilte ich mir in 1000 km Bahnfahrt und 500 km Fahrrad fahren.
Der erste Teil ist nach 21 h geschafft.

Der Himmel ist am nächsten Morgen grau. Der Wind blies mir heftig entgegen. Die Wolken zogen in die andere Richtung.
Auf den vielen Wiesen grasten wenige Kühe. Große Ställe bei den weit auseinanderliegenden Gehöften sah ich aber nicht.
Einige Felder liegen brach. Die Einsaat hätte wohl schon erfolgen müssen. Insgesamt wurde wenig darauf gearbeitet.

Die Silhouetten der Siloanlagen ragten wie Kathedralen in den Himmel. Die großen Anlagen waren an den Eisenbahnschienen. Jeder Farmer hat diverse kleinere Silos aus Wellblech am Gehöft stehen. Die alten Scheunen zerfallen langsam.

Die Artenvielfalt der Vögel ist sehr reduziert. Auf den Wasserflächen waren nur Enten zu sehen, keine Gänse oder Reiher. Der Vogel mit den roten Flecken am Flügel ist vielfach vertreten. Er sitzt gerne auf dem Schilfrohr und fliegt zirpend auf, wenn ich vorbeifahre.
Die Monokulturen von Weizen- und Wiesenflächen hinterlassen ihre Spuren.

Am späten Nachmittag zieht eine Gewitterfront auf. Ich sah die Blitze bereits in der Ferne zucken. Die nächste Ortschaft war nicht weit. Dort suchte ich mir eine feste Unterkunft.
Die Gewitter- und Regenschauer hielten bis in die Nacht an.

Der Donnerstagmorgen begann mit Sonnenschein. Aber bereits zum Mittag verfolgte mich über 35 km ein kräftiger Regenschauer. Der Wind blies aus dem Süden und traf mich seitwärts. Das Radeln war bedeutend einfacher als am Tag vorher. Die Landschaft war – wie gehabt – flach bis leicht hügelig. Wiesen mit wenig Kühe, Weizenfelder und ab und zu ein See oder etwas Sumpf. Die Prärielandschaft hat ihren Reiz mit der Weite und dem vielen Himmel. Dazu gehört auch das schnelle Radeln auf den geraden Straßen mit wenig Verkehr. Es gefällt mir. Bin jetzt in der Provinz Manitoba.

Mit meinem Essengehen ist es auf dem Lande nicht so einfach. Ich habe keine Lust die Kettenlokale Chicken Chef, Cosy Chicken, Family of Hamburger oder wie sie alle heißen zu besuchen. Es fehlt mir ein wenig die Gemütlichkeit und ein leckeres Essen.

Der Freitag war ein Tag wie ihn sich jeder Radler wünscht. Kräftiger Rückenwind, Sonnenschein und gute Straße. Durch die flache Landschaft zu fahren war einfach ein Vergnügen ohne große Anstrengung.
Für wen die Nestvorlage im Teich ist, weiß ich nicht. Ich sah sie häufiger.
Die Gleisarbeiter haben für alles vorgesorgt. Wenn es nur nicht zu sehr schüttelt.