Jul 232012
 

97. Reisetag

5680 km

 

Und sie gibt es doch. Die letzten 5 Städte und Orte an den großen Seen hatten Stil. Der Stadtinnenbereich bestand aus den ein- bis zweistöckigen roten Ziegelgebäuden um die Wende 1900. Die Feuerwache war wichtig und es wurde entsprechend Wert auf ihr Äußeres gelegt. Für das Auge eine Wohltat. Die alten Häuser eigneten sich glücklicherweise nicht für die Supermärkte und Imbissketten, die vielerorts den Innenstadtbereich bestimmen. Merkwürdig, vor mehr als 100 Jahren waren solche Bauten möglich. Danach gab es nur noch die Zweckbauten der Neuzeit. Um den alten Kern gruppieren sich die heutigen typischen Wohnhäuser, von einfach bis prunkvoll. Meist aus Holz.

Ich hatte es genossen erstmalig in diesem Jahr in einem Straßenkaffee zu sitzen und zu schauen, abends sogar in einer Bar (ein sonst nach außen abgedunkelter Raum) mein Bier  draußen zu trinken. Eine Altherrenband spielte dazu die Rockmusik aus ihrer Jugendzeit – etwas schräg und laut. Es war trotzdem ein Genuss.

Der Tag startete mit einer 35 km langen Fahrt auf einer alten Eisenbahnstrecke entlang der Küste, ohne Steigung und bei etwas kühlerem Wetter. Nach einer Kaffeepause in einem der oben beschriebenen Orte ging es weiter auf dem Highway mit viel Verkehr zur Wasaga-Beach. Wieder eine Sensation, hier gibt es mit 14 km den längsten Sandstrand an einem Süßwassersee. Für mich war es eine endlose Ansammlung von Ferienhäusern. Ab und zu mit einen Zugang zum Strand für die nicht so wohlhabenden Besucher.

Mein Zelt baute ich am Abend auf einem Campingplatz etwas abseits der Küste auf.
Es gibt zwar keine Bären hier, aber den Namensvetter „Waschbär“. Dieser nachtaktive Räuber macht sich gerne über das Essen von Reisenden her, die es nicht sicher verstauen können. Mehrere Radreisende berichteten davon. Bin also gewarnt und fand jeweils eine Lösung (Waschraum, leeren Mülleimer, sonstige Verschläge, Auto). Viele dieser Tiere beenden ihr Leben nachts auf der Straße. Über Tag fuhr ich oft an ihnen vorbei.
War an diesem Abend sehr müde, hatte nicht einmal Lust etwas zu essen. Verkroch mich früh ins Zelt und schlief fest bis mich in den frühesten Morgenstunden die Geräusche eines Steinbrechers (so kam es mir vor) weckten. Wie doch die Nachtstille als Geräuschverstärker wirken kann. Der Schlaf kam aber bald zurück.

Vor dem Zelt am Morgen zu frühstücken ist für mich ein Genuss. Musste mich aufraffen um loszukommen. Die Mittagshitze wartet nicht auf mich.
Auch für kanadische Verhältnisse ist dieser Sommer sehr heiß. Wiesen sind vertrocknet. Der Wald brennt in manchen Gegenden. Weiß gar nicht mehr wann es zum letzten Mal geregnet hat.

Die Strecke weiter entlang der Küste wurde mir so schön beschrieben. Ich startete am Morgen in diese Richtung. Die Ferienhaussiedlungen nahmen kein Ende. Vom See sah ich wenig. So bog ich ins Binnenland der Halbinsel ab. Es ging bergauf und -ab durch Buschland mit wenig Wald und Felder.
An einem versumpften Binnensee (als Vogelparadies auf meiner Karte gekennzeichnet) machte ich halt. Außer dem Sumpfgebiet und einem müden Schwan gab es wenig zu sehen. Dieser Abstecher führte mich durch Zufall auf einen Trail (wieder alte Eisenbahnstrecke), der mich meinem Ziel 20 km näher brachte. Die letzten 30 km legte ich auf den Highway zurück und erreichte am späten Nachmittag die Stadt Orillia am Lake Simcoe. Neben den beschriebenen schönen alten Häusern standen im Innenbereich eiserne bunte Sessel. Jede Stadt benötigt etwas Besonderes.
Im Winestore gibt es keinen Wein zu kaufen. Die Leute bringen Obstsaft oder ähnliches. Dieser wird hier im Auftrag zu Wein vergoren und nach Fertigstellung abgeholt.

Mein Frust über den ewigen Gegenwind muss gehört worden sein. Am nächsten Morgen kam der Wind von der Seite und hinten. Das Fahren brachte mehr Spaß.

Die Strecke führte mich anfangs flach entlang an Felder und Wiesen. Bald erreichte ich wieder die Ausläufer des kanadischen Schildes mit Wäldern, Seen und natürlich Bergen. Am Abend keine Unterkunft mehr gefunden. Das in Frage kommende Motel war mit „firefighter“ ausgebucht. Konnte mein Zelt aber auf einer dazugehörigen Wiese aufbauen. Mich lange mit dem indischen Inhaber unterhalten, der alles sehr interessant fand und voller Neugierde war. Im nahem Fluss geschwommen und gewaschen. Die Washrooms der Tankstelle gegenüber genutzt. Die Tankstellen werben nicht mit ihren Öl-Produkten, sondern mit ihren neu renovierten Washrooms. Bei den oft großen Entfernungen unter anderem ein Grund diese aufzusuchen.
Am nächste Tag mit viel Schweiß tiefer in die bergige seenreiche Landschaft eingedrungen. Im kleinen Ort Maynooth ist ein Hostel. In diesem verbrachte ich die Nacht und einen weiteren Tag. Wäschewaschen, ausschlafen und etwas Ruhe war angesagt.

Das Gebiet der großen Seen hatte ich verlassen. Um Toronto mache ich einen großen nördlichen Bogen. Der Verkehr im weiten Umfeld wurde mir als extrem beschrieben.

 

Jul 192012
 

 92. Reisetag

5293 km

 

Die Hälfte meiner Reisezeit ist überschritten. Bin bereits weiter vorgedrungen als geplant. Eventuell reicht die Zeit vor dem Winter noch für einen Abstecher nach Neufundland.

Unterwegssein heißt auch immer Abschied nehmen. Von Personen oder besonders schönen Plätzen. Beides traf auf die letzte Unterkunft zu.

Mittags erreichte ich die Fähre an der Südspitze der Insel Manitulin. Die „Chi-Cheemaun“ (Indianisch: Großes Kanu) setzt in einer 1 ¾ Stundenfahrt über zur Stadt Tobermory auf der Bruce Peninsula. Auf der Fähre war ich ungewohnter Weise wieder mit vielen Menschen konfrontiert. Es gab viel zu schauen. Schöne Tattoos auf breitem Rücken. Jede Menge große und kleine Hunde. Über dem Wasser bildete sich eine dichte Nebelsuppe, die sich zum Land hin auflöste.

Nach der Ankunft mein Spätmittag- und Abendessen eingekauft: Brot, Käse, Joghurt und Pampelmusensaft. Hatte alles direkt am Hafen auf einer Bank verzehrt. Erlebte eine stürmische Nacht auf dem nahen Campingplatz, das angekündigte Gewitter blieb aber aus.

Am nächster Tag – wie ein Geschenk – wieder Rückenwind. Der Himmel war teilweise bewölkt. Die Sonne schien nicht ganz so heiß.
Die Landschaft hatte sich etwas geändert. Kalkgesteine waren vorherrschend – schroff an der Küste, abgerundete Rücken im Binnenland. Aber auch Sandstrände luden zum Baden ein.
Mittags erfrischte ich mich im Lake Huron. Das Wasser war sehr kalt.
Bei einer Rast ein erstaunlich gutes Essen bekommen. Hatte eine schöne Unterhaltung mit zwei Amerikanern. Sie radelten in entgegengesetzte Richtung.
Einen Campingplatz wieder verlassen. Der Übernachtungspreis sollte fast 50 Dollar betragen – auf einem nicht einmal so schönen Platz. Für 10 Dollar mehr ein Motel in der Nähe gefunden. Der Nachbar spendierte mir noch ein Bier. Da ich durstig war schmeckte es vorzüglich.

Im Zimmer gab es keine Kaffeemaschine. Das Frühstück nahm ich am nächsten Tag erstmals im nahen Subways ein. Sandwich mit Omlett und Käse. Mein Morgenmüsli wäre nahrhafter und wohlschmeckender gewesen, auch ohne Kaffee.
Das Wahrzeichen der Stadt Wiarton ist der Wiarton-Willie, ein Groundhog (Murmeltier) mit steinernem Denkmal. Alles abgekupfert aus den USA – siehe Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Im Gegensatz zu anderen Orten gab es Häuser aus der Gründerzeit kurz nach 1900.

Fuhr zunächst einen 40 km Bogen auf der Straße entlang der Küste. Der Wind blies mir kräftig entgegen. Wo bleibt denn der „immer wehende“ Westwind?
Die Seite direkt am Wasser war durch Häuser mit Baumbestand belegt, dann kam die Straße. Deshalb vom Küstenabschnitt nicht allzu viel gesehen. In der etwas größeren Stadt Owen Sound, ebenfalls für kanadische Verhältnisse eine schöne Stadt, machte ich Mittagspause. Danach bin ich auf einem Trail abseits von der Hauptstraße weitergefahren. Anfangs war es schön, der schmale Weg führte durch Felder ohne allzu viel Steigung. Er erinnerte mich an den Trans Canada Trail. Das änderte sich aber. Es wurde eine staubige Straße mit sehr vielen Steigungen. Die Kalkrücken waren bewaldet. Es gab viele Wiesen. Auf den Feldern wurde bereits das Getreide geerntet.
Ermüdet vom Tag kam ich am späten Nachmittag im Ort Meaford an.

Jul 152012
 

89. Reisetag

5019 km

 

Auf ebener Straße zu radeln, welch angenehmes Fortbewegen am Morgen. Entlang am flussartigen Verbindungsarm zwischen dem Lake Superior und Lake Huron. Die Landschaft hatte sich geändert. Seit dem Verlassen der Prärie tauchten die ersten Wiesen und Getreidefelder (meist Hafer) auf. Ich sah viele Pferde auf den Weiden, auch Schafe, die Kühe mussten sich eher mit dem Stall abfinden.

Der Wechsel im Umfeld war ein Genuss für meine Augen. Wie doch frisch gemähte Wiesen oder Heurollen darauf meine freudige Beachtung fanden. Der Wald und die abgerundeten Felsrücken waren nicht ganz verschwunden. Immer wieder durchquerten sie die Landschaft, sie bestimmten sie aber nicht mehr. Die Steigungen hielten sich damit sehr in Grenzen.

Nach dem verlassen einer ruhigen Nebenstraße gab es viel Verkehr auf dem Trans Canada Highway. Der Grenzübergang zur USA in Sault Ste. Marie mag die Ursache dafür gewesen sein. Der Seitenstreifen war oft sehr schmal. Wenn zwei der langen Lastwagen an mir in beiden Richtungen vorbeirasten wechselte ich oftmals auf den sandigen Rand. Der Blick in den Rückspiegel war wichtig. Nach ca. 250 km konnte ich vor der Stadt Espanola den stark befahrenen Highway verlassen und in Richtung Manitoulin Island fahren, die größte Insel in einem Süßwassersee. Felsen und Wald prägten wieder die Landschaft mit vielen eingeschlossenen Seen und natürlich die Küstenlinie zum Lake Huran.

Unterkunft hatte ich meist auf Campingplätzen. Mal ohne Mücken, war ein Genuss. Mal versuchte ich die Mücken auszutricksen. Bin früh in mein mückensicheres Zelt gegangen. Verlor aber trotzdem. Woher die ganzen Stiche kamen ist mir ein Rätsel geblieben. Eine Nacht im Zelt hat den Temperaturvorteil gegenüber einem Motelzimmer. Über Tag war es sehr heiß, die Nachtkühle drang direkt ins Zelt ein.

Neben dem Zeltplatz schaute ich einem Baseballtraining zu. Ist schon ein merkwürdiges Spiel von erwachsenen Menschen.

Neben High-Tec-Solaranlagen auf Feldern tauchten an der Straße Hinweisschilder auf Kutschen auf. Auf einem Feld sah ich Frauen mit zylinderartiger Kopfbedeckung arbeiten. Sie trugen lange einheitliche Kleider. Etwas später kam mir eine Pferdekutsche entgegen. Auf einem Parkplatz sah ich eine Kutsche stehen mit zwei Männern davor. Ich hielt an und unterhielt mich mit beiden. Es war ein interessantes Gespräch und ich konnte einiges über ihr Leben erfahren. In Ontario gibt es einige Amische Siedlungen. Die religiösen Gemeinschaften leben zurückgezogen von den technischen Errungenschaften. Kein Strom, kein Traktor zur Feldarbeit, kein Auto, ihr Fortbewegungsmittel ist die Kutsche. Zum Zurücklegen weiter Strecken kann der Bus benutzt werden. Einer der Beiden fuhr mit dem Greyhound Bus in die nächste Stadt. Ihren Lebensunterhalt erwirtschaften sie vorwiegend durch Landwirtschaft und handwerkliche Tätigkeiten.

Auf meiner Fahrt über die Insel Manitoulin kam ich in der Stadt Little Current mit zwei Frauen ins Gespräch. Sie regten einen kleinen Umweg an zu einem Fahrradladen auf dem Land. Dort konnte ich mein Zelt aufbauen. Fünf Leute lebten in einer Art Wohngemeinschaft zusammen. Sie bewirtschaften einen größeren Garten. Einer hat die Fahrradwerkstatt unter sich, die anderen arbeiten außerhalb. Gebrauchswasser gabt es aus dem See, Trinkwasser wird aus der Stadt mitgebracht. Hier blieb ich einen weiteren Tag. Badete im See und genoss das Umfeld.

Jul 102012
 

84. Reisetag

4680 km

 

Die morgendliche Fahrt begann im Nebel. Die Sonne setzte sich bald durch. Die Morgenfrische und -beleuchtung nährte mein Fernweh. Erstaunlich wie die Stimmung die immer gleiche Landschaft unterschiedlich wahrnehmen lässt.

Um etwas Abwechslung zu bekommen konzentrierte ich mich auf Inselfotographie.

Der nächste Ort war 240 km entfernt. Hatte vorgesorgt, den vorher gab es nichts einzukaufen. Nach 90 km einen schönen Campingplatz am Lake Superior gefunden. Zelt direkt am See aufgebaut. Es war ein selten schöner Platz. Hier blieb ich einen weiteren Tag. Der Wind erfrischte über Tag und hielt am Abend die Mücken fern.

Meine Tasche mit Lebensmittel konnte ich beim Zeltnachbarn im Auto verstauen. (Der letzte Bär wurde vor drei Tagen gesehen.) Nach dieser Kontaktnahme wurde ich zu einem abendlichen kalten Bier eingeladen. Die Nachbarn waren ein amerikanisches pensioniertes Lehrerehepaar. Sie stellten sehr interessierte Fragen zu Europa und Deutschland. Wer sind in Deutschland neben Habermas und Gadamer weitere wichtige Denker. Ich musste passen und bat mir eine Nacht Bedenkzeit. Kam nicht weiter. Wer hilft mir?

Der nächste Tag begann gemütlich. Ausschlafen, mit Blick auf dem See meinen Kaffee trinken und einfach nichts tun. Auf meine Lebensmittel musste ich aufpassen. Hungrige Nager warteten nur auf eine Unaufmerksamkeit. Am Nachmittag mit den Nachbarn einen Ausflug zu einem steil ins Wasser abfallenden Felsen gemacht. Es ist ein heiliger Platz der Indianer gewesen an dem ihre Träume und Gedanken mit roter Ockerfarbe auf die Felsen gemalt wurden.
Den Abend wieder in angeregter Gesellschaft bei den Nachbarn verbracht.

Die Fahrt am nächsten Tag war ereignislos. Selbst Inseln waren weniger zu sehen. Es folgte der letzte Zeltabend am Lake Superior, diesmal mit viel Mücken. Sie vergraulten mir am nächsten Morgen ein gemütliches Frühstücken. Danach ging es in die 80 km entfernte größere Stadt Sault Ste. Marie. Sie liegt an der Grenze zur USA und am Übergang vom Lake Superior zum Lake Huron. Konnte meine notwendigen Einkäufe machen. Sie war nicht ganz so hässlich wie viele andere Orte. Einen weiteren Tag wollte ich hier nicht verbringen.