Mai 182012
 

    32. Reisetag

1384 km

 

Tücke der Geologie. Alle Gebirgszüge im westlichen Kanada sind in nord-südlicher Richtung angeordnet. Sechs davon habe ich bereits überquert. Wellenmäßig bewege ich mich nach Osten vor, da die Wege nie in gerader Linie über die Berge geführt werden. Die große Herausforderung der Rocky Mountains steht demnächst noch bevor.

Von Trail aus fuhr ich entlang des mächtigen Columbus River Richtung Süden. Nach dem Mississippi ist dieser der am meisten wasserführende Fluss in Nordamerika. Kurz vor der Grenze bog mein Weg nach Osten ab entlang des D’Oreille River. Dieser Fluss fließt durch ein enges Tal. Damit eignete er sich vorzüglich zur Energiegewinnung. Eine Staustufe löst die nächste ab. Der Fluss ist eher ein langgezogener See mit steilen Ufern. Bereits nach 35 km Fahrt zog es mich auf einen Campingplatz unten am See um hier in der Einsamkeit eine Nacht zu verbringen. Es war warm und ich hatte Zeit. Ganz so einsam war es dann nicht. Es gab einige Tagesbesucher und 2 Camper in ihren großen Campingwagen. Die Übernachtung war umsonst. Die für mich wichtige Wasserversorgung erfolgte über eine Handpumpe. Das Wissen, das Wasser erst nach längerem Pumpen zu verwenden, war mir durch meine bisherige Lebenserfahrung nicht gegeben. Das Wasser schmeckte anfangs fürchterlich, bis ich aufgeklärt wurde. Danach aber leider auch nicht besonders gut.

Auf dem Campingplatz ließen sich nicht nur die Menschen nieder. Wildgänsepaare jeweils mit Kücken grasten in großer Anzahl auf der Wiese. Sie waren mein Beobachtungsobjekt am Nachmittag. In der Frühe, hell wird es so gegen 4 Uhr, unterhielten sie sich besonders lautstark. Und wie an vielen Orten in Kanada steht auch hier eine gestiftete Bank in Memorium an einen Verstorbenen.

Am Morgen ging es vom Campingplatz steil hoch auf den holprigen Weg entlang des Stausees. Das Umfeld während der Fahrt war wunderschön mit Blick auf den See und den gegenüberliegenden Hang. Hier hatte im letzten Jahr ein Waldbrand gewütet und viele verkohlte Baumstümpfe hinterlassen. Einmal zog auf der staubigen Straße ein Fliedergeruch an mir vorbei. Am Wegesrand waren die blaublühenden Sträucher zu sehen.

Am Ende des Forstweges war auf der einen Seite die Grenze zur USA, ich nahm den Highway auf der anderen Seite, der mich nach 25 km nach Salmo brachte. Hier quartierte ich mich in einem Motel ein – mit Badewanne. Der örtliche Campingplatz war geschlossen.

Am nächsten Tag ging es weiter nach Nelson, meist auf dem Highway. (Als Anmerkung zum Highway: dieser kann auch Landstraße mit wenig Verkehr sein.) Der Trail war leider wegen Bärenaktivität geschlossen. Ich möchte eigentlich einen Bären sehen. Herausfordern wollte ich so ein Treffen aber auch nicht.

In Nelson mein Erstaunen. Zwar hat die Stadt nur ca. 10.000 Einwohner, aber was für ein Unterschied zu den anderen Orten, die ich gesehen hatte, Vancouver und Victoria ausgenommen. Viele junge Leute auf der Straße, schick und flippig angezogen. Hippies, die Musik machten, Indienshops und viele Kaffees und Restaurants, sogar ein vegetarisches. Ein Ruhetag habe ich hier eingeplant mit Ausschlafen und Wäschewaschen.

Mai 142012
 

28. Reisetag

1270 km

bisher 10.299 Höhenmeter

 

Jetzt ging es wirklich nicht weiter. Die Schneefelder wurden immer tiefer, länger und häufiger. 5 km vor und 100 m unterhalb des höchsten Punktes von 1200 m auf der vorgesehenen Strecke.

So leicht wollte ich mich erst nicht geschlagen geben. Zuerst schob ich das Rad durch den Schnee, das war mit dem schweren Gepäck sehr anstrengend. Dann nahm ich die Taschen ab, trug diese voraus und holte das Rad nach. Es gab immer wieder schneefreie Abschnitte. Diese wurden leider seltener. Ich gab die Weiterfahrt auf. Der Rückweg durch den Schnee war ähnlich beschwerlich. Nach Erreichen des festen Weguntergrundes fuhr ich 5 km zurück um einen Zugang zum Highway zu bekommen. Auf diesem ging es nochmals 500 m recht steil in die Höhe bis zum Pass. Es war bereits 18 Uhr als ich dort ankam und der Tag war anstrengend gewesen. Ohne ein sonst häufiges auf und ab konnte ich mich von hier aus 1000 m über 30 km anstrengungslos in die Tiefe rollen lassen. Entspannte am Abend meine müden Glieder durch ein Bad im Motel und genoss danach noch beim Inder ein Mother-Day special.

Der Morgen hatte so gut angefangen. Immer am Hang entlang durch Waldgebiete und Blick auf den Christina Lake ging es in die Höhe. Ich war zeitlich gut vorangekommen. Unterquerte noch die Highwaybrücke, nicht ahnend, dass ich noch auf diesem fahren werde. Bis der Schnee mich stoppte.

Die Strecke heute war problemlos und kurz. Zum ersten Mal packte ich die Stiefel ein und zog die Sandalen an. Meine Fahrt ging am Columbia River entlang, fast ohne Steigung. Bei 30 Grad im Schatten baute ich am Nachmittag mein Zelt etwas außerhalb der Stadt Trail auf. über der Stadt qualmen die Schornsteine. Hier werden Blei- und Zinkerze verhüttet, in einer der weltweit größten Anlage.

Mai 122012
 

26. Reisetag

1144 km

 

Das war eine Überraschung. Nach über 1000 km Fahrt durch Kanada tauchte gestern bei der Abfahrt in 750 m Höhe die erste Schutzhütte auf, mit Holzpritschen zum Übernachten. Auf der einen Seite der weite Blick ins Tal, auf der anderen eine 40 m hohe Felswand, dazwischen die Hütte und der Weg.

Dass ich hier die Nacht verbringe war mir sofort klar. Mein Wasservorrat betrug 2,5 l. Langt gerade für eine abendliche Suppe und den Morgenkaffee mit Müsli. Ein zufällig vorbeikommender Quadfahrer, in meiner Beliebtheitsskala eher unten stehend wegen der Wegaufwühlung, brachte mir auf Anfrage mit einer erneuten Tour 3 l Wasser nach. Damit war Luxus angesagt.

Lange saß ich auf einem Stein und genoss den Blick in die Weite, bis die Sonne den Bergschatten auf mich warf. Unten mäanderte ein Fluss, Wiesen, dahinter Berge mit Wald, vereinzelt Häuser und ganz in der Ferne ein Schneeberg. So eine Ruhe hatte ich auf dieser Reise noch nicht verspürt. Es war schön alleine zu sein. Nur eine sehr vertraute Person hätte meinen Frieden nicht stören können.

In Midway war die Endstation der Kettle Valley Railway und der Beginn der Columbia & Western Railway. Ich blieb also auf dem Trail. Leider war dieser auch weiterhin nicht immer einfach zu befahren. Steinig, sandig und weitere Hindernisse. Mal ist ein Tor mit einem Gatter mit Schloss versehen. Muss dann Fahrrad und Taschen darüberheben. Farmer haben große Steine vor die Gatter gelegt, wieder ist heben angesagt. Der Trail kann auch einfach auf einer Wiese enden, dann ist meist ein Hinweis zu einer Straße gegeben. Immer das Hoffen, dass es irgendwie weitergeht und ich nicht zurückfahren muss.

Midway liegt im Tal des Kettle Valley River, nahe der Grenze zur USA. Wäre gerne am Fluss weitergefahren. Müsste dabei für eine kurze Wegstrecke die Grenze überschreiten. Wegen der schwierigen Einreisebedingungen: Keine Lebensmittel mitnehmen, vorher Antrag im Internet stellen versuche ich es gar nicht und wähle die Bergetappe.

Durch Farmland mit Weiden für die Rinder ging es mit eisenbahnmäßiger Steigung (2%) aufwärts. Nach 15 km tauchte eine ca. 15 m hohe lange Wand von Schlacken am Ortsrand auf. Diese wirkte düster und bedrohlich. Ich fuhr durch Greenwood, in dem vor langen Jahren Kupfererze verhüttet wurden. Dem Erzreichtum dieser Gegend sind die Eisenbahntrassen zu verdanken.

Mittags nach 450 Höhenmetern war die Bergkuppe und die ehemalige Erholt Station erreicht. Hier war 1915 ein Eisenbahnknotenpunkt. Einfach nicht vorzustellen, ich war alleine mitten im Wald.

Auf steinigem Weg ging es abwärts. Am Hang entlang und durch zwei Tunnel, oft mit weitem Blick ins Tal. Bei der Fahrt musste ich mich auf den Weg konzentrieren. Die Weite konnte ich nur im Stehen genießen. Bis die Hütte am Wegesrand auftauchte in der ich einen wunderschönen Nachmittag und Abend verbrachte.

Am Morgen weckten mich die Sonnenstrahlen und es war fast warm beim Kaffeetrinken draußen auf der Bank.

Auf der Rumpelpiste ging es heute weiter ins Tal und 20 km am Kettle River entlang zum Christina Lake. Es war warm geworden. Hoffe die Zeit der Nachtfröste ist vorbei, denn Morgen geht es wieder in die Höhe.

 

Mai 102012
 

24. Reisetag

1061 km

Gestern war ein Brückentag. Ich bin über 18 Brücken im Myra Canyon gefahren.

Es ist eine bizarre Landschaft. 2003 war ein Feuersturm durch den Canyon gefegt und hat alles verbrannt – die Wälder und die alten Brücken. Verkohlte Baumstümpfe und kahle Hänge sind die Zeugen des damaligen Feuers. Die Natur lässt sich durch derartige Ereignisse nicht aufhalten. Hat der Samen nun im Boden überlebt oder der Wind hat ihn hergetrieben – ich weiß es nicht? Zwischen den verkohlten Resten wachsen bereits auf weiten Flächen neue Tannen und Kiefer. Die Menschen waren diesmal schneller als die Natur. 2008 waren alle Brücken neu erstellt, durch Freiwilligenarbeit und Spenden. Der TCT war wieder befahrbar.

Ich konnte in ca. 1.250 m Höhe über 15 km ohne Steigungen den Canyon umfahren. Mit weitem Blick in den Canyon und auf die andere Hangseite.

Bevor ich dieses Erlebnis haben konnte war am Tag davor wieder Bergfahrt angesagt. Auf weniger gutem Weg schraubte ich mich 850 m in die Höhe – meist mit Blick auf den Okanagan See.
Es gab Warnhinweise auf Klapperschlangen. Habe aber kein Klappern gehört. Es ist wohl noch zu kalt. Ein murmeltierartiges Wesen machte Männchen am Wegesrand. Als es mich sah verschwand es in seinem Bau. Die Neugierde ließ es aber bald wieder herauskommen. Fasst angegriffen wurde ich von einem huhnartigen Vogel. Er kam immer näher auf mich zu und fing an zu Hacken. Da bin ich weitergefahren. Unterwegs traf ich einen Schweizer Radler. Er war schon länger unterwegs. Ehe ich eine Frage stellen konnte fing er ohne Unterbrechung an zu erzählen. Nach 15 Minuten unterbrach ich mit „ich muss mal weiter“ den Redefluss und war froh in die andere Richtung fahren zu können. Hoffe ich werde nicht auch mal so.
Am späten Nachmittag traf ich müde auf 1.250 m Höhe am Chute Lake ein. Hier sollte es Bett, Essen und einen Campingplatz geben. Mir blieb nur der Campingplatz. Alles war noch wegen Winter geschlossen. Kochte mein Tütensüppchen, schaute auf den See und habe in der Nacht so gerade nicht gefroren. Am Morgen schaute ich mich auf dem Anwesen ein wenig um und sah Erstaunliches. Es muss hier einen Sammler geben, der über Jahre auch wirklich alles gesammelt hat: Schilder, Werkzeugen, Maschinen und vieles mehr.

Die morgendliche Kälte in mir wurde bald vertrieben durch den Kaffee, die Sonnenstrahlen und die anfangs noch schlechten Wegverhältnisse. Der immer wieder mögliche weite Blick übers Tal auf den Okanagan See ließ Glücksgefühle aufkommen.

Im Myra Canyon war ich zeitlos geworden und konnte einfach nur stehen bleiben und schauen. Bis ich merkte, dass noch eine weite Strecke zur nächsten Unterkunft zu bewältigen war.

Nach dem Canyon wurde die Wegstrecke deutlich schlechter. Sand und Steine sind nichts gegen Teiche auf dem Weg. Viele Male musste ich die Radtaschen abnehmen, durch das Gestrüpp am Rande tragen und den gleichen Weg noch einmal mit dem Rad zurücklegen. Den fehlenden Spuren im Schnee zufolge war ich wohl der erste in diesem Jahr auf der Strecke. Nach einem Schild „passing not possible“ verließ ich den TCT, ohne nachzuschauen ob ich da doch durchkomme.  Über einen Feldweg erreichte ich erst eine Forststraße und dann den Highway, der mich nach Beaverdill führte. (Ich war froh über mein GPS-Gerät auf dem ich die Wege verfolgen konnte.)  Leider war das alte Hotel aus dem Jahre 1910 im letzten Jahr abgebrannt. Es wurde in meinem Führer so verlockend beschrieben. Ich fand ein Zimmer mit Kochgelegenheit. Zum Campen war es mir zu kalt.

Am nächsten Tag radelte ich auf dem Highway nach Midway, meiner nächsten Station. Zweimal versuchte ich es mit Abschnitten auf dem nahen TCT. Die Wegverhältnisse dort waren so schlecht, dass ich es aufgab.