Mit gemischten Gefühlen starte ich eine organisierte Tour zu den Nomaden. Was erwarte ich: Ich möchte einen Einblick in ihre Lebensumstände bekommen. Unangenehm wird sein, dort als Fremder zuzuschauen wie sie leben.
Auf der Fahrt zu den Nomaden besuchen der Fahrer und ich zunächst das alte Dorf Ghalat. Es ist merkwürdig, das Morbide und Alte wird oft zur Sehenswürdigkeit. So wie ich sind am Freitag viele Iraner unterwegs, laufen durch die alten Lehmhausgassen um anschließend ihr geliebtes Picknick zu machen.
Bei der Weiterfahrt erfahre ich, dass die Frau des Fahrers aus einer kinderreichen Nomadenfamilie (4 Töchter, 5 Söhne) stammt und ich die nächste Nacht bei einigen ihrer Geschwistern verbringen werde. Ihre Zelte liegen abseits von der Hauptstraße in einem trockenen kargen Tal. Die Ziegen, die einzige Erwerbsquelle, sind zur Mittagspause in eine Einzäunung getrieben. Mehrere Männer sitzen im Zelt auf den Teppichen und warten auf das Essen. Etwas abseits mauern sie ein Winterquartier für die Ziegen.
Das Essen ist zum Glück nicht zu fleischlastig. Reis mit einer Soße aus Kartoffeln, Tomaten und Ziegenstückchen. Die Frauen essen nicht mit. Nach einer Siesta begeben sie sich wieder an die Arbeit. Die Ziegen werden hinausgetrieben. Nur die vielen jungen Zieglein bleiben auf dem Gelände. Sie erhalten dort ihr getrocknetes Kleefutter, ansonsten tollen sie frei herum. Kein schlechtes Ziegenleben. Mein Fahrer fährt zurück in die Stadt und wird mich am nächsten Morgen abholen.
Auf dem Gelände stehen drei Zelte. Das Aufenthalts-/Schlafzelt sowie ein kleineres Koch-/Schafzelt. Eine ältere Frau und Mann wohnen in einem eigenen Zelt. Es gibt zwei Paare mit einem Baby, das gerade so laufen kann und ein Junge und Mädchen so zwischen acht und zehn Jahren (?). Des weiteren die jungen Männer, die beim Mauern helfen. Weiß nicht, ob sie auch sonst dazu gehören. Ein junger Mann aus Afghanistan ist für den Ziegentrieb verantwortlich.
Ich sitze nach dem Essen alleine im offenen Zelt, ab und zu kommen die Kinder vorbei. Gehe ein wenig herum und schaue den Zieglein und Hühnern zu. Das staubige und trockene Umfeld ermuntert mich nicht zu einem längeren Spaziergang.
Die zwei Frauen schälen im offenen Zelt Auberginen für das Abendgericht. Diese sind das Standardgemüse im Iran. Sie trinken Tee, zerteilen eine Wassermelone (bekomme davon natürlich etwas angeboten) und halten ein Schläfchen.
Komme mir ein wenig verloren vor. Damit habe ich aber gerechnet. So vergeht der Nachmittag.
Am Abend kommen die Ziegen in einer Staubwolke den Hügel hinuntergerannt. Die Zieglein warten bereits, um von der Mutter ein wenig Milch zu ergattern. Diese scheint davon nicht begeistert zu sein und bleibt nicht stehen.
Die Arbeit auf dem Bau ist abgeschlossen. Die Männer waschen sich an der einzigen Wasserstelle, einem Schlauch aus dem zum Trinken zu salzhaltiges Wasser kommt. Trinkwasser wird mit dem Auto in Kanistern gebracht, so von meinem Fahrer. Der sichtbare Fuhrpark besteht nur aus einem Moped.
Anschließend wird im Aufenthaltszelt von einigen Karten gespielt, andere unterhalten sich. Das Handy ist immer im Griff und darauf wird rumgedaddelt. Ich sitze stumm dabei, da keiner Englisch spricht. Einer der jungen Männer zeigt mir auf seinem Handy einen Film mit deutschen Rennwagen. Eine Gaslaterne in der Mitte sorgt für Licht.
Zum Abendessen wird eine Plane auf den Teppichen ausgebreitet. Es gibt ein fleischloses Aubergine-Tomaten-Gericht, dazu jede Menge vom dünnen Fladenbrot. Nach dem Essen geht die Unterhaltung weiter. Mittlerweile ist es kalt geworden. Das Lager liegt auf 2000 m Höhe.
Zum Schlafen werden Matten auf dem Boden ausgebreitet. Die zwei Familien mit Kindern, ein junger Mann und ich schlafen hier. Geschlafen wird in den Abendklamotten. Schlafanzug oder Zähneputzen habe ich nicht wahrgenommen.
Nach einer gut durchschlafenen Nacht stehe ich fast als erster auf. Es ist 6.30 Uhr. Der runde eingezäunte Ziegenplatz ist bereits leer. Die ältere Frau im Nachbarzelt backt über einem Holzfeuer das dünne Fladenbrot. Ich setzte mich auf einen Stein und lasse den Morgen auf mich wirken.
So nach und nach stehen alle auf. Die Männer gehen auf den Bau, ihnen wird später das Frühstück gebracht. Ich erhalte es am Vormittag zusammen mit dem wieder angekommenen Fahrer – Fladenbrot, Gurke, Tomaten und den typischen weißen Streichkäse, dazu Tee.
Das Individuelle wird der Gemeinschaft untergeordnet. Notgedrungen, weil es nur zwei Zelte gibt? Arm sind die Nomaden nicht, sie führen aber ein einfaches Leben. Sie haben ihr Auskommen.
Eine Anhäufung von privaten Gütern habe ich nicht wahrgenommen. Jeder hat seine notwendigen Utensilien in einer Reisetasche. Keiner wirkt unglücklich.
Ich weiß es nicht, denke aber, dass die Familien im Winter bei Frost und Schnee in einem festen Haus im Ort/Stadt wohnen werden.
Auch wenn ich eine Art Radnomade geworden bin und nur aus der Reisetasche lebe, so ist meine individuelle Tour etwas frei gewähltes und nicht vergleichbar mit dem Erlebten.
Mein zeitweiliges Unwohlsein ist es wert gewesen diese andere Form des Zusammen-Lebens und -Arbeiten kennenzulernen.
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