8504 km
Die Fähre spuckte mich um 9 Uhr aus. Ich war jetzt auf Neufundland. Die Uhr stellte ich eine halbe Stunde vor. Sebastian, mein zweitägiger Begleiter fuhr direkt nach St. Johns. Ich wollte einen Bogen Richtung Süden zum Cape St. Mary fahren. In Placentia konnte ich noch einmal einkaufen. Es ging in die Einsamkeit. Auf der Karte tauchten einige Namen auf. Häufig gibt es dort nur eine Bucht oder ein paar Häuser.
Der Wind blies günstig aus Nordwest.
Die Landschaft auf der Halbinsel ist geprägt durch ein Plateau in 120-150 m Höhe, mit steil abfallender Küste. Auf meiner Strecke flossen acht Flüsse ins Meer.
Jeder grub mit seinem Bett eine tiefe Furche ins Plateau. Die Küstenstraße ging also achtmal steil auf Meeresniveau herunter und wieder hoch. Die Steigungen waren anstrengend. Oben angekommen kamen die Kräfte schnell zurück. Als Belohnung gab es die Sicht auf die Steilküste. Kaum ein Auto fuhr an mir vorbei. Nach 60 km gab es auf Plateauhöhe einen Campingplatz. Mitten in der Einsamkeit, glücklicherweise mit Restaurant und einer überraschend guten Fish & Chips-Mahlzeit. Dazu ein Bier. Auf Neufundland benötigen die Läden keine spezielle Lizenz für alkoholische Getränke.
Die Sonne ging über Straße und Landschaft unter. Nach eintretender Dunkelheit verzog ich mich bald ins Zelt und kroch mit warmer Hose und Pullover in den Schlafsack. Die Außentemperatur betrug nur noch 10 Grad.
Der nächste Tag begann mit Sonnenschein. Heute wollte ich die Vogelkolonie am äußersten Zipfel der Halbinsel besuchen. Da diese nur 13 km entfernt war schlief ich ein wenig länger und ließ mir Zeit. Die Fahrt dorthin ging über eine Ebene mit Sumpf- und Graslandschaft auf geteerter Straße. Der kärgliche Nadelbaumbewuchs erreichte kaum meine Größe.
Am Ende der Straße führte ein Wanderweg über 1,5 km zum Vogelfelsen. Hier tummelten sich zehntausende Gannet-Vögel (google-translate konnte mir keinen deutschen Namen dafür nennen) auf einem Felsen. Gut zu beobachten von einem nahen Felsvorsprung aus. Das Meer rauschte in 100 m Tiefe.
Vom Familienleben in einer Vogelkolonie bekam ich einiges mit. Wenn ein Vogel startete reckte er lange sein Hals in die Luft, wahrscheinlich um den Wind mit einzuplanen. Landet ein Vogel bei seinem Partner wird erst mal lange und wild geschnäbelt (als hätten sie sich Wochen nicht gesehen). Dann erst bekommen die Jungen ihr Futter. Landet ein Vogel zu dicht bei einem anderen wird gezankt. Manchmal nur mit anfauchen, mal auch mit einem kräftigen Biss in den Nacken. Die Nachbarn schauen interessiert zu. Bei der Vogeldichte ist es gar nicht so einfach einen freien Platz zum Landen zu finden. Jedes Vogelpaar hatte wohl einen bestimmten eigenen Platz.
Lange habe ich auf der Wiese neben dem Felsen gesessen und zugeschaut. Gestört haben die vielen Fliegen, die es hier gab. Nur sechs weitere Menschen kamen und gingen in dieser Zeit.
Das Meer unter mir hatte eine tiefblaue Farbe, die in Türkis wechselte, wenn die Wellen auf die Felsen stürzten. Das Rauschen wurde vom Vogelgeschrei übertönt.
Beim Zurücklaufen spürte ich die Einsamkeit und Weite der Landschaft. Sie lösten Gefühle von Melancholie, unbestimmter Sehnsucht, aber auch ein wenig Schwermut in mir aus.
Ich freute mich hier sein zu können.
Die Rückfahrt war etwas beschwerlicher gegen den Wind. Ich hatte Zeit und kein Gepäck dabei, der Wind störte nicht einmal.
Am Campingplatz aß ich wieder Fish & Chips und begab mich ans Blogschreiben.
Mittlerweile trübte es sich ein. Es steht wohl ein Wetterwechsel bevor.
Eine sachkundige Leserin aus der Agnesstraße berichtete mir, der Gannet ist ein Baßtölpel.
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