1512 km
Früh am Morgen auf der Straße zu sein ist nicht einfach. Zu zweit sogar noch schwerer. Bei wolkenverhangenem aber noch trockenem Himmel starten wir um 8.30 Uhr auf der alten Whanganui-River-Road Richtung Flussmündung.
Der Whanganui-River entspringt am Mount Tongariro. Seit über 700 Jahren haben sich im Flusstal Maoris niedergelassen. Ihre Nachkommen wohnen noch heute in den vereinzelten Dörfern. Ein Schild an der Straße „Ko au te awa, ko te awa ko au“ übersetzt „Ich bin der Fluss und der Fluss bin ich“ weist auf die spirituelle Verbundenheit der Moaris mit dem Whanganui hin.
Als sich im späten 18. Jahrhundert die europäischen Siedler niederließen wurde der Fluss zur Touristenattraktion. Schaufelraddampfer fuhren auf ihm. Der Whanganui wurde als Rhine Neuseelands angepriesen. Nach dem Ausbau weiterer Verbindungsstraßen und Eisenbahnlinien im Landesinneren verlor der Fluss seine Bedeutung. Die Schifffahrt wurde eingestellt. Auch die Uferstraße auf der wir uns fortbewegen ist Dank eines Highways Nebenstraße geworden. Kaum ein Auto fährt an uns vorbei.
Mal auf Flusshöhe, dann wieder tief unter uns folgen wir dem Fluss durch eine sattgrüne Landschaft. Wir durchfahren Maoridörfer mit den klangvollen Namen Jerusalem, Athene oder Koriniti. Den Ursprung dieser Namen erfahren wir nicht.
Leider trübt der einsetzende und heftiger werdende Regen unseren Radelgenuss. Die Wahrnehmung verengt sich auf Nässe und Kälte, die Schönheit der Landschaft rückt in den Hintergrund.
Wir haben Glück. Im engen Tal mit Straße, Fluss und steilen Hängen steht die Rivertime-Lodge – nur sie ist verschlossen. Auf der überdachten Terrasse finden wir Schutz vor dem Regen. Nach kurzer Wartezeit kommen die Besitzer vorbei und wir können einen kleinen Raum beziehen.
Im Gespräch erfahren wir, dass ihr Haupterwerb die Schafszucht ist. Vor 20 Jahren haben sie sich in dieser kargen Landschaft niedergelassen und bewirtschaften eine (kleine) Farm mit ca. 800 Schafen. Gestern war Schafschur direkt neben unserer Unterkunft. Die Wolle ist bereits in Ballen gepresst. Der Preis mit ca. 2 Euro/kg extrem niedrig. Wir sind zu spät angekommen, das hätten wir gerne miterlebt. Obwohl beide bereits im Rentenalter sind denken sie nicht ans aufhören.
Der Morgen begrüßt uns mit Sonnenschein. Wir genießen die Weiterfahrt. Wir radeln die letzte Steigung hinauf. Unter uns windet sich der Strom ein letztes Mal bevor er die Ebene vor der Tasmanischen See erreicht.
Auch wir lassen die Berge mit einer langen Talfahrt hinter uns. Wir stoßen auf den Highway auf dem wir die letzten 15 km nach Whanganui, unserem Zielort, zurücklegen. Diesmal ist es nicht der Verkehr, sondern der starke Gegenwind, der uns zu schaffen macht.
In der Stadt angekommen, schaufelt sich auf dem Fluss die Wiedergeburt des alten Raddampfers Waimarie voran. In England 1900 gebaut, nach Neuseeland gebracht und 52 Jahre Flussauf- und ab gefahren um dann am Anlegesteg unspektakulär zu sinken. 41 Jahre später wurde sie gehoben, restauriert und am 1. Tag des 21. Jhs wieder vom Stapel gelassen.
In der Tamara River Lodge in Whanganui beziehen wir ein schönes Zimmer mit Flussblick. Am nächsten Morgen besuchen wir am Flussufer den samstäglichen River Traders Markt. Wie bei uns auf Flohmärkten sind vor allem die Menschen interessant. Hippies, Hausfrauen, verschroben wirkende Menschen bis hin zu kleinen Jungs, die schräg Weihnachtslieder geigen. Alle sind sie vertreten. Im Angebot: leckeres Essen, Dekoratives und wenig Nützliches.
Sonntags radeln wir zum naheliegendem Meer. Es ist merkwürdig, der Wind scheint immer vom Meer zu kommen. An diesem Tag besonders heftig. Die See ist rau, etwas Regen liegt in der Luft und uns wird kalt. Der schwarze Sand der Beach mit viel gebleichtem Treibholz lädt nicht zum Baden ein. In der Ferne ragt die Schneekuppe des Taranaki-Vulkans in den Himmel. Zum tristen Bild passt die mit Betonklötzen befestigte Mole an der Mündung des Whanganui-Stroms. Zahlreiche Angler warten bei stürmischer See auf den fetten Fisch.
Am nächsten Tag folgen wir einer Einladung. Auf unserer Herfahrt unterhielten wir uns auf der letzten Passhöhe mit einem Motorradfahrer. Er ist Däne und lebt seit 30 Jahren mit seiner Frau in Neuseeland. Sie wohnen in einem der typischen Holzhäuser. Das letzte Erdbeben hat auch sie in Schrecken versetzt. Die Holzbauweise bewahrte es jedoch vor Schäden.
Zwischen Weihnachten und Neujahr ist ganz Neuseeland unterwegs. Um dem Trubel zu entgehen kam Marie auf die Idee uns per House-Sitting eine Bleibe zu suchen. Es klappte per Internet. Ab dem 23. Dez. hüten wir Haus und Katze in Wellington. Wegen vieler Regenstopps ist unser Zeitplan durcheinander geraten mit dem Fahrrad Wellington zu erreichen. Wir fahren mit dem Bus. Der Busfahrer wirkt skeptisch als er uns mit Rädern sieht – scheint wohl so üblich zu sein. Er zeigt uns die Ecke, die wir zum Verstauen haben. Nach dem Ausbau der Vorderräder zwängen wir sie so gerade hinein. Vier Stunden später erreichen wir Wellington. Nach dem Zusammenbau radeln wir entlang der Hafenpromenade zur vorgebuchten Unterkunft in der Jugendherberge.
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