Thomas Kipp

Aug 082012
 

113. Reisetag

6749 km

 

Der Schalter ist auf Rückenwind gestellt. Das Radlerherz ist voller Freude.

Quebec hat mir von allen besuchten Städten am Besten gefallen. Es mag mit an der schönen Unterkunft und dem Hafenblick gelegen haben.
Mit der Fähre setzte ich am Morgen auf die Ostseite des Sankt Lawrence Stromes über. Für mich beendet eine Fährfahrt einen Abschnitt klarer als die sonstige Weiterfahrt auf der Straße.

Auf bestem Radweg geht es die ersten 10 km weiter, dann folgt der breite Randstreifen der Straße – immer dem Strom entlang. Auch hier zieht ein Expresshighway den Durchgangsverkehr ab. Oft werde ich per Hinweis auf kleinere Straßen geführt oder sogar auf Radwege. Das Ufer ist nicht zugebaut. Ich genoss den Weitblick über den Strom und die Ackerflächen. Jedes Gehöft hatte seine weit sichtbaren Silos.

Die Berge sind ins Hinterland versetzt. Ab und zu ragen die bewaldeten Steinrücken des kanadischen Schildes aus der Flussebene empor. Manchmal musste ich diese auch überqueren.

Viele Künstler versuchen in Läden und Ständen ihre Sachen zu verkaufen. Große Kirchen stehen in kleinen, oft schönen Orten. Vermehrt traf ich Fahrradtouristen, die für kürzere Zeit unterwegs waren. Campingplätze gab es viele und zu vernünftigen Übernachtungspreisen. Im Zelt konnte ich wieder gut schlafen. Meine Temperatur musste ich nicht mehr mit nassem Handtuch auf dem Bauch oder Ventilator regulieren. Es war wie Urlaub.

Am zweiten Tag erreichte ich Rivere de Loop, eine größere Stadt mit knapp 15.000 Einwohner. Meine letzte Station am Sankt Lawrence Strom. Das gegenüberliegende Ufer ist kaum noch zu sehen. Ebbe und Flut machen sich bereits bemerkbar. Es roch nach Meer. Hatte das Gefühl ich hätte den Atlantik bereits erreicht. Aber mein Weg geht jetzt wieder ins Binnenland.

Mücken gibt es in diesem Jahr sehr wenig – so wurde mir erzählt. Der Sommer war zu heiß mit wenig Feuchtigkeit. Sollte mir recht gewesen sein. Nur einige Tage um den Lake Superior herum hatten sie mich ernsthaft geplagt.
Die Hitze scheint vorbei zu sein. Viele Wolken sind am Himmel und der Wetterbericht sagt ab und zu Schauer an.

In der letzten Nacht setzte kurz nach dem ich mich ins Zelt verkrochen hatte ein lang anhaltener Regen ein. Schlagartig war es auf dem Zeltplatz ruhig. Sonst ist der Lärmpegel recht hoch. Zu jedem Platz gehört eine individuelle Feuerstätte, davor wird gesessen und geschwatzt.

Meine Wale-Watching-Tour heute war wenig spektakulär. Hatte nur in der Ferne die Rücken von weißen Beluga-Wale gesehen. Sonst gab es viel Nebel und ich hatte kalte Füße. Ein kaum sichtbares Frachtschiff ließ in kurzen Abständen sein Nebelhorn erklingen. Hatte damit eventuell die Wale vor uns gewarnt.
Bei der Menge von 80 Leuten auf dem Schiff freue ich mich bereits auf meine Weiterfahrt morgen – alleine.

Die Verständigung wird bereits schwieriger. Englisch wird von vielen Älteren kaum gesprochen. Hinweise sind nur noch auf französisch.

Aug 052012
 

110. Reisetag

6524 km

40.023 Höhenmeter

 

Eine Überraschung am Morgen. Es regnete als ich aufwachte, der Himmel wolkenverhangen.
Meine Regensachen kamen nicht zum Einsatz. Es war nur ein Schauer. Der Wind blies von hinten. Der Fahrspaß war wieder da.

Montreal konnte ich auf einem Fahrradweg verlassen, der mal gut/mal schlecht ausgezeichnet mich bis Quebec-City (Hauptstadt der Provinz Quebec) leitete. Meist auf der wenig befahrener Straße mit breiten Seitenstreifen. Ein parallel verlaufender Expresshighway nimmt den Durchgangsverkehr auf. Der mächtige Sankt Lawrence Strom wird mich in den nächsten Tagen begleiten und führte mich ich durch eine weite fruchtbare Ebenen. Mais und Sojabohnen dominieren, wohl alle genmanipuliert. In Kanada scheint man stolz auf diese Technik zu sein, denn Schilder weisen am Feldrand auf die entsprechenden Sorten hin.

Am Nachmittag verdunkelte sich der Himmel. Ich stand gerade vor einer Gite Auberge (Bed und Breakfast-Pension) als ein heftiger Schauer einsetzte. Es war ein Haus, gebaut um 1900, voller Antiquitäten. Ich bekam vom (hageren) Hausherrn ein stilvolles Zimmer zugewiesen. Das Frühstück am nächsten Morgen war so angerichtet wie man es nur erhalten kann, wenn einer es mit Begeisterung zubereitet. Jede Traube hatte ihren vorgesehenen Platz. Jetzt weiß ich auch weshalb seine kleine Frau kugelrund ist.

Über Tag wieder bei angenehmen Rückenwind gefahren. Die Nacht verbrachte ich auf einem Campingplatz mit netten Kontakt zu den Zeltnachbarn. Es waren zwei Brüder aus Toronto. Der eine fuhr Fahrrad, der andere transportierte mit dem Auto das Gepäck.

Ich dringe tiefer in die Provinz Quebec ein und bemerke Unterschiede. Im Gegensatz zu den Orten im englischsprachigem Raum haben die Dörfer ihre eigene Architektur und ihren individuellen Touch bewahrt. Bunte Häuser in fröhlichen Farben bestimmen das Bild. Jedes noch so kleine Dorf wird überragt von einer gewaltigen Kirche, der hier überwiegend katholischen Einwohner.
Am Straßenrand werden von den Farmern Früchte und Gemüse aller Art angeboten.

Am dritten Tag erreichte ich Quebec-City. Die Berge reichen jetzt bis an den Strom heran. Die Indianer hatten diese Stelle kebec („wo der Fluss enger wird“) genannt.
Eine damals strategisch wichtige Position um hier eine Stadt zu gründen.

Heute ist Quebec eine der lebendigsten und ältesten Städte Kanadas. Ein Teil der wunderschönen historischen Altstadt, die man durch die alten Stadttore betritt, steht heute auf der Unesco Liste des Weltkulturerbes. Ich genieße das Schlendern durch die engen Gassen mit bunten Häusern, in denen phantasievolle Restaurants und stilvolle kleine Hotels untergebracht sind. Die Stadt vermittelt französisches Lebensgefühl pur: Allerortens flaniert man, schaut den Straßenkünstlern zu oder lässt ein leckeres Essen servieren. Alles wird überragt vom riesigen mittelalterlich anmutenden Pracht-Hotel „Chateau de Frontenac“, das wie ein Märchenschloss aussieht. Inmitten der Oberstadt auch die riesige Zitadelle, von der aus man einen tollen Blick über die Stadt und den Fluss hat!

An diesem Wochenende finden die Festtage „Remontez le temps“ statt. Viele Einwohner sind entsprechend gekleidet. Theater- und Musikeinlagen werden auf den Straßen und Plätzen angeboten. Die Stadt ist voller Touristen.

Ich wohne für drei Nächte in einem kleinen Hotel in der Altstadt mit Blick über den Hafen. Von der Hotelterrasse aus kann ich am Abend die Lightshow auf dem langen Hafensilo sehen, anschließend ein Feuerwerk à la „Rhein in Flammen“.
Mein Abendessen nehme ich diesmal auf der Terrasse ein, mit Baguette, Wein und Käse. Auch der Käse scheint hier besser zu schmecken als in den anderen Provinzen.

Über Tag ist es heiß und schwül. Hoffentlich kommt am Abend ein Donnerwetter.
Nachtrag: Es hat heftig geregnet.

Leider werden die Fotos im Blog am Rand immer abgeschnitten.

 

 

 

Jul 312012
 

105. Reisetag

6221 km

 

Nach einer weiteren unruhigen Nacht im Jail-Hostel verließ ich Ottawa auf einem Radweg über 20 km direkt am Ufer des Ottawa-Flusses bzw. Sees entlang. Danach ging es weiter meist auf Nebenstraßen, 10 km stark befahrener Highway waren leider nicht zu vermeiden. Am späten Nachmittag machte ich an einem Zeltplatz halt. Mit 48 Dollar für eine Übernachtung war er mir jedoch zu teuer. So baute ich mein Zelt etwas später direkt am Wasser auf eine Wiese auf. Die Waschgelegenheit hatte ich direkt vor Ort.

Seit ich nicht mehr durch einsame Gegenden radle habe ich kein Trinkwasserproblem mehr. Ich lasse meine Flaschen auffüllen, wenn ich Leute vor ihrem Haus sehe.

Es war eine Wohltat im Zelt zu schlafen. Die Temperatur stimmte und es war ruhig. Im Gegensatz zur Disco Jugendherberge in Ottawa.
Gemütlich mein Kaffee am Morgen getrunken. Das ist immer wieder schön und frisch in den Tag gestartet. Die wenig befahrene Straße führte meist am Ufer entlang. In der ersten Reihe am Wasser standen wieder die Häuser, viele davon ansehnliche Bauten. Mit kurzen Unterbrechungen zieht sich diese Häuserreihe bis nach Montreal über 70 km hin.
Bänke für meine Pause fand ich meist vor Kirchen.

Über Tag war es weiterhin sehr warm. Der nächtliche Regenguss vor 6 Tagen hatte sich nicht wiederholt. Der Wind stand wie gehabt nicht auf meiner Seite. Er blies eher heftiger aus dem Osten und raubte mir ca. 25 % meiner Fahrenergie. Der Fahrspaß war deutlich reduziert.

Am frühen Nachmittag ca. 25 km vor meinem eigentlichen Ziel sprach mich ein Radfahrer an. Ich könnte bei ihm im Haus übernachten. Hatte es angenommen, obwohl am nächsten Morgen um 5 Uhr aufstehen angesagt war. Er musste früh zur Arbeit.

Wegen angestauter Tageshitze hatte ich schlecht geschlafen. Die Nachtkühle macht sich im Zimmer erst zum frühen Morgen hin bemerkbar. Wie wunderbar doch eine Zeltnacht gewesen wäre. Um 5.30 bei angenehmer Frische und langsam in die Stadt Montreal geradelt – erst am Ufer und dann 20 km entlang an einem Kanal, vorbei an alten Fabrikanlagen, zur zentral gelegenen Jugendherberge.

Montréal liegt auf einer Insel, der größten in einem vom Zusammenfluss des St. Lawrence und des Ottawa Flusses gebildeten Archipel.
Wegen Stromschnellen war es den Schiffen aus Übersee nicht möglich gewesen den St. Lawrence Strom weiter aufwärts zu fahren.
Die Güter mussten von den Schiffen und aus dem Landesinneren umgeladen, gelagert und bewacht werden.
So kam es, dass sich die bereits 1642 gegründete Missionsstation Ville-Marie schnell zu einer Basis für Entdeckungsreisende und Pelzhändler entwickelte. Ville-Marie wurde bald in Montréal umbenannt. Missionare zogen von hier aus weiterhin übers Land.

Ich weiß nicht ob das mit ein Grund ist. Seit ich in der Provinz Quebec angekommen war hat fast jede zweite Stadt ein Saint bzw. Sainte davor und viele Straßennamen ebenfalls. Habe meine Zweifel dass bei dieser Inflation von Heiligen jeder seinen Titel verdient hatte.

Im Vieux-Montréal gibt es eine große Ansammlung historischer Gebäude. Oft stehen diese direkt neben den modernen Bauten.
Im Zentrum ist eine Underground City entstanden. Ein fast 30 Kilometer langes Netzwerk aus wettergeschützten Passagen, die Metro, Ladengeschäfte, Theater, Hotels, Büro- und Wohnhäuser miteinander verbinden. Im Winter braucht der Montrealer keinen Fuß ins Freie zu setzen und im Sommer sorgen Klimaanlagen für angenehme Temperaturen.

Radfahrer haben ein gut ausgebautes Wegenetz. Leihräder stehen an vielen Stationen zur Verfügung. Diese werden auch viel benutzt. Ich war auf den Hausberg geradelt um einen Überblick zu bekommen. Sobald ich den Innenstadtbereich mit den Hochhäusern verlassen hatte wechselten diese zu schönen Einfamilienhäusern – meist aus Stein und jedes Haus war anders. Häuserblocks wie bei uns gibt es natürlich auch. Auf einem Markt waren die Gemüsesorten schön aufgereiht, sonst aber wenig los. Da denke ich immer an die abwechslungsreichen asiatischen Märkte mit dem pulsierenden Leben.

Die ethnische Vielfalt der Einwanderer, die mehr als ein Fünftel der Einwohnerschaft (britisch und französisch) von ca. drei Millionen ausmachen, zeigt sich im kulturellen Leben der Stadt. Meine Essmöglichkeiten waren hier immens erweitert.

 

 

Jul 272012
 

101. Reisetag

5931 km

 

Der erste Ort, der Ende des 18. Jahrhunderts gegründet wurde, war nicht Ottawa, sondern Hull, das auf der Québecer Seite des Ottawa Flusses liegt. Damals flößten seine Bewohner die ersten Baumstämme den Fluss hinab. Nur wenig später, mit Ausbruch des Krieges von 1812, machte die Nähe des für die Vereinigten Staaten strategisch so wichtigen St. Lawrence die Briten nervös. Deshalb wurde als sichere Verbindung zwischen Upper und Lower Canada von 1826 bis 1832 der 200 km lange Rideau-Kanal gebaut, der Kingston, die Basis der Royal Navy am Lake Ontario, mit Hull verband. Der Konstrukteur dieses technischen Wunderwerks mit seinem ausgeklügelten System von Schleusen war Colonel By. Die von ihm gegründete Stadt Bytown (daraus wurde Ottawa) lag beiderseits des Kanals und war schon bald deutlich größer als Hull. Als es an der Zeit war, eine Hauptstadt für die neue United Province of Canada zu wählen, waren die Einwohner von Toronto und Québec entsetzt über Königin Victorias scheinbar willkürliche Wahl von Ottawa. Der Ort war aber vor den Angriffen der Amerikaner geschützt, zum anderen bewahrte ihn seine Lage an der Grenze zwischen Ontario und Québec vor den Auswirkungen der anglofranzösischen Rivalitäten.

Das Zentrum der Stadt bildet der Parliament Hill. Die Parlamentsgebäude sind neogotische Bauten, die fast einem Schloss ähneln. Vor dem Eingang brennt eine ewige Flamme zum Gedenken an die erste Versammlung im Parlament. Der Uniformzirkus für die Touristen inkl. Dudelsackspieler dreht seine täglichen Runden.

Unterhalb des Parlaments mündet der Rideau-Kanal mit einer 8-stufigen Schleusentreppe in den Ottawa Fluss. Ein Anziehungspunkt für Touristen, dazu gehöre natürlich auch ich. Von einer Brücke aus kann der Schleusenbetrieb beobachtet werden. In Handarbeit werden die Tore geöffnet und geschlossen Der Kanal wird heute von den Freizeitschiffern benutzt. Entlang des Kanals sind Rad- und Wanderwege.

Die Gegend um die alte Halle des Byward Marktes ist ein weiterer Treffpunkt für die Touristen. Samstags verkaufen die Bauern hier ihr Obst, Gemüse, Fleisch, Käse, Blumen und Brot. In der Halle sind vor allem Ess- und Touristenartikelstände untergebracht. Rundherum gibt es viele Restaurants, Shops, Cafes und Kneipen.
Eine Neustadt mit den verspiegelten Hochhäusern der Banken, Hotels, Shopping Malls und Fussgängerzone fehlt natürlich auch nicht.

Fast mittendrin in den Sehenswürdigkeiten liegt die Jugendherberge. Das ist sehr angenehm. Mein Rad bleibt abgeschlossen im Gefängniskeller.

Ich genoss es draußen im Straßenkaffee zu sitzen. Beobachtete die Menschen. Sie kommen aus allen Kontinenten – viele schöne und charakteristische Typen, aber auch Menschen, denen ich ein schweres Schicksal ansehe.
Ich konnte aussuchen wo und was ich essen wollte. Diese Möglichkeit hatte ich schon lange nicht mehr.
Zu Kaufen gab es alles in den vielen Geschäften. Ich benötige außer eine weitere Straßenkarte und einen neuen Zeltsack nichts. Fast schade.

Jeden Abend gibt es auf dem Parliament Hill eine Lightshow. Ist schon fantastisch, wie dort Natur und Geschichte Kanadas am Parlamentsgebäude dargestellt wird.
Draußen vor meiner Zelle im Gefängnishof hämmerte die Musik, Punkbands spielten in der 2. Nacht. Da half auch kein Ohropax mehr. Nach Beschwerde um 2 Uhr morgens wird mir eine Übernachtung erstattet. Heute ist nur Disco angesagt. Auch nicht ganz leise.