118. Reisetag
7210 km
Und jetzt ist er wieder da, der Tans Canada Trail. Die nächsten 150 km werde ich auf ihm zurücklegen. Auf einer alten Eisenbahntrasse. Diesmal ist der Belag fest. Motorfahrzeuge sind nicht erlaubt. Die Zufahrt ist jeweils durch Gitter geschützt. Ein Fahrradfahrer kann passieren.
Der nächtliche Regen hatte zum Morgen hin aufgehört. Das Zelt konnte ich trocken einpacken. Seit die Hitze über Tag nachgelassen hatte bin ich kein Frühaufsteher mehr. Um 9 Uhr war ich startbereit. Durch Wald, Buschland und gelegentlich ein See ging es gemächlich 400 m in die Höhe und wieder herunter. Das typische Umfeld des kanadischen Schildes. Es ist schwer vorzustellen wie vor ca. 100 Jahren diese Trassen durch die Felsen gebrochen wurden.
Mein Zelt baute ich nachmittags direkt am Ufer des langgezogenen Temiscouata Sees auf.
Da viele Kanadier an allem was mit Motoren zusammenhängt viel Freude hat, gab es natürlich die schnellen Motorboote. Manchmal mit Surfbrett im Schlepp oder auch ohne brausten sie mit viel Lärm dahin.
Nach meinem einfachen Abendessen saß ich vor dem Zelt auf der üblichen Bank mit Tisch (die zu jedem Platz gehört) und schaute aufs Wasser.
Ein Zeltnachbar sprach mich an und fragte ob ich mich zu ihnen setzen wollte. Über die Offenheit und Herzlichkeit Fremden gegenüber freute ich mich. Es war ein schöner Abend.
In der Nacht fing der Regen an. Frühstücken konnte ich beim Nachbarn trocken im Schutzzelt. Der Regen wurde weniger und ich packte schnell meine Sachen zusammen. Kurz nach dem Losfahren setzte er wieder ein – bis zum frühen Morgen des nächsten Tages.
Meine wasserdichten Socken hatten sich in den Sandalen bewährt. Für Stiefel wäre es zu warm gewesen. Nach 4 h durch den Regen fahren kriecht die Feuchtigkeit trotz guter Kleidung überall rein. Die Fahrt ging an diesem Tag auf dem Trail entlang des Madawaska Rivers, der in Emundston in den Sankt Johns Fluss mündet. Dort verbrachte ich die Nacht im Motel.
Ich bin jetzt in der Provinz New Brunswick. Die Uhr habe ich eine weitere Stunde vor auf die Atlantic-Time gestellt.
Habe meinen morgendlichen Kaffee am nächsten Tag bei Tim Hortons getrunken. Tim Hortons ist eine Kaffeehauskette – eine Institution in Kanada, viel besucht und liegt in der Häufigkeit weit vor MacDonald u.a. Es traf sich die morgendliche Herrenrunde zum Plausch. Oft muss Schlange gestanden werden, auch um einen Kaffee zu bekommen. Meine Beobachtungen zeigten mir, der Kanadier steht geduldig und ausdauernd in der Schlange: beim Eiskaufen, um in ein bestimmtes Restaurant zu gelangen und bei der Kaffeehauskette. Er kann sogar hier am Autoschalter in der Autoschlange stehen.
Die Fahrt ging bei bedecktem Himmel ohne Regen entlang des Sankt John Rivers auf der Straße weiter. Der Fluss bildet in diesem Abschnitt die Grenze zur USA. Der Wind hat seine positive Einstellung mir gegenüber gewaltig geändert und bläst voll entgegen. Die sehr wenig befahrene Straße führte durch leicht hügelige Landschaft mit kaum Landwirtschaft. Friedhöfe gab es jetzt in jeder noch so kleinen Ortschaft. Ist mir vorher nicht aufgefallen. Die Grabpflege kann einfach mit dem Rasenmäher erfolgen.
Nach 65 km erreichte ich Grand Falls. Der Wasserfall, der dem Ort den Namen gegeben hat, sah dürftig aus. Kaum Wasser, aber beeindruckende Felsen. Als Attraktion konnte man sich an einem Stahlseil über den Abgrund gleiten lassen. Das Wasser fließt wohl größtenteils durch Turbinen des Stauwerks. Der Fluss weiter unterhalb zeigte wieder eine kräftige Strömung. Die Fahrt heute hatte mich angestrengt. Es war der Wind und ich habe wohl ein Schnupfen in den Gliedern. Waren es die kalten Füße beim Whale-Watching oder der Regen am Vortag. Ich baute das Zelt auf und machte darin einen Nachmittagsschlaf.
Meine Recherche im Internet ergab, dass ab Grand Fall der TCT für weitere 230 km vorhanden ist. Im Tourist-Office wurde es mir bestätigt. Weitere Informationen waren nicht vorhanden. Das Wissen ging nicht über die Stadtgrenze hinaus. Karten dazu waren nicht einmal im Internet zu finden. Auf dem kleinen Stadtplan war der Startpunkt zu sehen. Im Vertrauen auf ein Durchkommen fuhr ich am nächsten Morgen los.
Der Weg führte durch Kiesgruben, Hangrutsche und matschigen Gelände, war aber befahrbar mit den mäßigen Steigungen einer alten Eisenbahntrasse. Nur einmal fehlte ohne Ankündigung eine Brücke und ich trug Gepäck und Fahrrad nacheinander über einen Bach. Häufig fuhr ich direkt am Sankt John River entlang, mit Weitsicht über den Fluss. Keine Autos um mich zu haben war schön. Abseits von größeren Orten gab es weder Motels noch Campingplätze. In einem Ort gab es wieder eine Sensation der längsten überdachten Brücke. Im Laden dort kaufte ich genügend Wasser ein mit der Absicht irgendwo mein Zelt aufzuschlagen. Gegen späten Nachmittag setzte der Regen jedoch mit so einer Heftigkeit und Ausdauer ein, dass ich die letzten 20 km weiter in die Stadt Woodstock fuhr und dort bei eintretender Dunkelheit eine Unterkunft fand. Die Strecke entlang des Trails war schön, der Genuss kam aber wegen des starken Regens nicht durch. An diesem Tag hatte ich auf den 120 km Trail keinen Menschen getroffen.
Am Morgen schien die Sonne. Ich fuhr auf der falschen Flussseite weiter. Der Trail führte nach schönem Beginn entlang des Flusses in die Berge. Zurück zur Brücke in Woodstock wollte ich nicht. Eine Rückfahrt ist für mich eine Hemmschwelle – merkwürdigerweise. Ich fuhr auf der vorhanden kaum befahrenen Straße auf dieser Flussseite weiter. Anfangs flach, mit weiter Sicht und ich freute mich über meine Wahl. Doch die Berge kamen näher ans Ufer heran und die Straße oft weiter vom Ufer weg. Es ging auf und ab. Die Abfahrt ist nicht voll zu genießen wenn ich den Berg auf der anderen Seite bereits vor mir sehe. Manchmal wich ich auf eine kleinere Uferstraße aus, wenn auf dem GPS ein Durchkommen zu sehen war. An der Hauptstraße wies ein Schild auf die schöne kleine Uferstraße hin. An der Abbiegung stand ein Schild Sackgasse. Die GPS-Datei (Datum 2004) zeigte „es geht hier weiter“. Zögernd fuhr ich hinunter zum Fluss. Die Alternative wäre die Fahrt über einen Berg auf der Hauptstraße gewesen. Nach dem die letzten Häuser am Straßenrand aufhörten war klar, weiter ist schon lange kein Auto mehr gefahren. Hatte Glück, am Ende war eine neue Fußgängerbrücke über einen breiten Nebenfluss. Die alte Straße stand unter Wasser. Warum nicht ein Hinweisschild für Fahrradfahrer und Fußgänger? Es gibt sonst so viele unnötige Schilder.
Bald näherte ich mich der Stadt. Der Verkehr nahm zu – die Berge auch.
Es war ein heißer schwüler Tag. Dunkle Wolken zogen auf. Ein kurzen Schauer brachte nur wenig Abkühlung.
Durch Zufall sah ich kurz vor meinem Ziel die Einfahrt zu einen Trail, der mich die letzten 10 km ins Stadtzentrum von Fredericton führte.
Es ist die Provinzhauptstadt von New Brunswick.