10.415 km
In der Nacht war er voll zu sehen, der Mond. Es ist wohl sein Einfluss, der den Sonntag dann eintrübte. Bei wolkenverhangenem Himmel fahre ich über die Hauptstraße.
Erstaunlich viele Erdbeerfelder sehe ich in der letzten Zeit, auch an diesem Tag. Der erste Storch der Saison sitzt im Nest auf einem Telegrafenmast. Trotz Sonntag ist in drei Orten Markttag.
Nach 30 Kilometer verlasse die Hauptstraße für einen Abstecher in die Unterwelt – zu den korykischen Grotten. Dafür radele ich erst kräftig den Berg hinauf um oben wieder 450 Stufen hinunter in eine tiefe Schlucht zu steigen. Es handelt sich um Einsturzdolinen. Hohlräume wurden von einem unterirdischen Fluss im Kalkgestein geschaffen. Die Decke ist irgendwann eingestürzt und hat einen tiefen Schlund geschaffen, der in eine riesige Grotte übergeht. Auf einem Vorsprung in der Tiefe vor dem Eingang der Grotte stehen die Ruinen einer byzantinischen Kapelle. Im Inneren der Höhle höre ich ein starkes Rauschen. Eine Etage tiefer könnte ein Fluss eine neue Höhle graben. Hier liegt der Eingang zur Unterwelt. Der Legende nach mündet der unterirdische Fluss in der höllischen Styx.
Wieder oben angekommen schaue ich noch von einer Aussichtsplattform in die 128 m tiefe Höllengrotte mit fast senkrechten Wänden. Gut das ein Gitter davor ist. Mir wird schwindelig bei dem Blick in die Tiefe.
Wieder unten auf der Hauptstraße hole ich mein Gepäck an der nahen Tankstelle ab. Wollte nicht unnötig belastet in die Höhe fahren.
Bald erreiche ich den angeblich schönen Ort Kizkalesi. Ein zwölfstöckiges Apartment- und Hotelhaus steht neben dem anderen, dazwischen schmale dunkle Gassen. Alles wegen einer Bucht mit schönen Sandstrand. Der Küstenbereich ab Alanya wir hauptsächlich von türkischen Touristen besucht. Diese haben wohl (noch) nicht so hohe Ansprüche.
Wollte in dem Ort eigentlich einen weiteren Tag bleiben. Ich übernachte in einer kleinen Pension an einer Nebenbucht, fahre am nächsten Morgen aber weiter.
Neben der Straße weitverstreut liegen viele Ruinenfelder. Die Hochhausbebauung in den Orten nimmt zu, vermehrt noch nahe dem Küstenstreifen.
Ansonsten habe ich viel Gegenwind. Ab Mittag akzeptiere ich ihn. Danach störte er nicht mehr. Die Fahrt auf der Hauptstraße ist abwechslungslos, sie dient nur dem Fortkommen.
Ich nähere mich langsam der Metropole Mersin. An einer Suppenbude halte ich an und esse meine mittägliche Linsensuppe. Vor mir wird plakativer Wahlkampf betrieben. Nach dem Essen lädt mich der Friseur nebenan zu einem Tee ein. Bei ihm sitzen drei Männer, die aus Syrien kommen. Mangels Englisch- bzw. (meine) Türkischkenntnisse ist die Diskussion sehr stockend.
Das Zentrum der langgezogenen Stadt erreiche auf der Uferpromenade. Das ist ein stressloses Radeln mit Sicht aufs Meer. Und an diesem Tag nehme ich Abschied vom Mittelmeer. Es hat mich seit den Dardanellen über 2000 Kilometer begleitet. Mein Fahrt geht jetzt ins Landesinnere. Wenn alles so läuft wie geplant werde ich in ca. vier Monaten wieder das Meer am Persischen Golf erreichen.
Die Stadt Mersin dient mir als Übernachtungsstopp. Besonders ansprechend mit ihren eintönigen Wohnblocks finde ich sie nicht. Der Wahlkampf ist wie in vielen anderen Orten im vollen Gange. Massenweise hängen Wahlfahnen über der Straße und an den Häusern. Hinzu kommt das Getöse der Wahlbusse, die mit lauter Musik und Reden pausenlos herumfahren.
Auf der Hauptstraße mit viel Verkehr geht es am nächsten Morgen weiter in die Stadt Tarsus. Zum ersten Mal ist ein Hotel ausgebucht. Finde eine einfache Unterkunft in der Nähe in der lebendigen Altstadt. Die Herren sitzen in Mengen in den Teesalons und spielen oder unterhalten sich. In kleinen Werkstätten werden Metallteile verarbeitet. Der Schuster flickt die Schuhe. Ich werde häufig zu einem Tee eingeladen. Wir unterhalten uns soweit möglich. Oft wird auch deutsch gesprochen. Touristen habe ich nicht gesehen, obwohl es ein wichtiger Wallfahrtsort ist. Paulus ist hier geboren. Die Fundamente seines Geburtshauses liegen unter einem Plexiglassdach, ein Brunnen daneben labt auch heute noch die Pauluspilger.
Der Duschraum in meiner Unterkunft sieht nicht gerade einladend aus. Gegenüber vom Haus ist ein Hamam. Am Abend schwitze ich dort, lasse mich abschrubben und danach massieren. Ist sehr angenehm.