Thomas Kipp

Am Van-See, Feiertag und ärgerlicher Verlust.

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Mai 012014
 

DSC04739361. Reisetag

11.885 km

 

Nach dem Verlassen von Tatvan fahre ich durch ein grünes Tal gemächlich bergan. Ein Fluss mäandert durch die Wiesen. In etwas größeren Bögen schlängelt sich die Straße durch die Bergtäler. Es ist erstaunlich wie tief ich in die Bergwelt eindringe ohne besonders in die Höhe zu fahren. Einen Schlenker macht die Straße noch einmal entlang des Van-Sees. Dann verschwindet sie wieder in den Bergen. Ich weiß aber, irgendwann wird an diesem Tag ein 2200 m Pass vor mir liegen. So langsam geht es mit mäßiger Steigung in die Höhe. Zu meiner Überraschung taucht in 2000 m Höhe eine Tunnelröhre auf, die es in den Karten noch nicht gab. In diesem 2,5 km langen Tunnel schluckt der Fels den sonst dröhnenden und mir Angst einflößenden Lärm der Autos. Es ist eine angenehme Durchfahrt.

So wie ich mich durch die Bergwelt winde, bläst der Wind. Häufig drehend, mal von vorne, dann von hinten. Der Himmel hat sich zum ersten Mal seit langem zugezogen. Die ersten Tropfen fallen. Die Temperatur sinkt von 30 Grad am Morgen auf 14 Grad. Ziehe mich warm an, denn nach der Tunneldurchfahrt geht es mit Geschwindigkeit nur noch bergab. Sogar mit Unterstützung des Windes.

Nach 100 km Fahrt an diesem Tag finde ich eine Unterkunft. Zwar etwas schäbig, im Ort Gervas, direkt am Van-See. Von hier aus möchte ich mit einem Boot am nächsten Morgen zur Insel Akdamar fahren. Es gibt keinen Fahrplan, ich muss im Restaurant am Anleger warten, bis eine Reisegruppe eintrifft. Zusammen mit einer kleinen Gruppe Amerikaner setzte ich die 4 km über. Das regnerische Wetter vom letzten Nachmittag und Abend ist verschwunden. Die Sonne scheint.

Die Insel ist berühmt wegen der orthodoxen Kirche und Kloster aus dem 10. Jahrhundert. Die Kirche des heiligen Kreuzes besitzt wunderschöne Reliefs aus dem Alten Testament an den Außenmauern. Innen ist sie verwinkelt mit kleinen Nischen und Räumen. Reste alter Wandmalereien sind zu sehen.
Für die armenischen Christen ist sie ein ganz wichtiges Heiligtum, für andere ein beliebtes Ausflugsziel.

Am frühen Nachmittag bin ich zurück auf dem Festland. Starker Rückenwind treibt mich auf flacher Strecke die 40 km nach Van. Abends spaziere ich noch ein wenig durch die Innenstadt.

Am nächsten Morgen lasse ich Gepäck und Fahrrad im Hotel. Mit dem Bus fahre ich die 440 km in die Stadt Erzurum. Im iranischen Konsulat dort möchte ich am nächsten Tag mein Visa abholen. Habe dabei leider nicht bedacht, dass es der 1. Mai ist, auch in der Türkei ein Feiertag.
So schaue ich mir die Stadt an mit vielen alten fast tausendjährigen Moscheen, Medresen, Türben (Grabbauten) und einer Zitadelle auf dem Altstadthügel. Viele Menschen sind wegen des Feiertages unterwegs. Nur Banken und Behörden haben geschlossen, Geschäfte nicht.

In einem Obstladen erschrecke ich mich beim Bezahlen. Geldbeutel mit Visakarte sind weg.
Weiß nicht, wann ich ihn das letzte Mal in der Hand hatte, da ich Kleingeld immer lose in der Tasche habe. Gestohlen oder verloren, ich weiß es nicht. Habe die Visa-Karte sperren lassen. Meine Hose wird von einem Geldgürtel gehalten, sonst hätte ich ernsthafte Probleme. Kann mit dessen Euro-Inhalt mein Hotel bezahlen und auch am nächsten Tag die Visagebühren. Eine weitere Karte habe ich zum Glück im Hotelsafe in Van gelassen.
Sehr ärgerlich, aber nicht schlimm. Ich muss achtsamer werden im Umgang mit diesen Dingen.

Hinauf zum Van-See.

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Apr 272014
 

DSC04690357. Reisetag

11.749 km

 

Ich habe schlecht geschlafen. Der Hustenreiz setzt bei mir meist nachts ein und weckt mich. Trotzdem bin ich bereits um 8 Uhr auf der Straße. Es geht an diesem Tag in die Berge. Die Hügellandschaft um mich herum ist anfangs noch grün. Beim Blick nach vorne stellt sich mir die Frage, wo die Straße wohl weiterverlaufen wird, denn sie verschwindet einfach.
Ich fahre auf einer wichtigen Verbindungsstraße Richtung Osten. Viele Lastwagen sind unterwegs. Die Straße ist schmal und zweispurig, oft ohne Seitenstreifen. Bauarbeiten für die Erweiterung gibt es bereits und einige Teilstücke sind fertiggestellt.

Ich passiere viele Militärposten. Beobachtungstürme sind mit Sandsäcken gesichert zwischen denen ich die Gesichter der Polizei/Soldaten sehen kann. Sie winken mir oft zu. So eine Wache muss langweilig sein.
Am Straßenrand wird ein mir unbekanntes Grünzeug verkauft. Es schmeckt leicht säuerlich wie Rhabarber. Ist es aber nicht, denn es ist der Blüten-/Fruchtschoss.
An diesem Tag ist es heiß, trinke Unmengen an Wasser, fülle meine Flaschen an Brunnen am Wegesrand auf. Ungefähr alle 20 km, das bedeutet alle zwei Stunden, esse ich eine Apfelsine und Banane. Benötige vor allem etwas Erfrischendes, Hunger verspüre ich nicht. Leider ist die Pampelmusenzeit vorbei. Diese zu essen bedeutete für mich jedes Mal ein Hochgenuss. Schattenplätze für meine Pausen finde ich leider keine.
An einer Stelle durchbricht die Straße eine Steinwand. Auf der Hangseite läuft Wasser herunter und bildet breite Kalkfächer, fein mit einer dünnen Wasserschicht überzogen.

Der anfängliche Gegenwind am Morgen hat sich nach einer Pause der Windstille in einen Rückenwind verwandelt. Es gibt also doch eine Windgerechtigkeit. Zweifelte bereits daran.

Die Landschaft wird zusehends karger, Schneekuppen sind wieder zu sehen. Mein nächster Übernachtungsort Tatvan liegt auf 1700 m Höhe. Gefrühstückt hatte ich in Ziyaret auf 600 m Höhe.

Ungefähr 25 km vor dem Ende meiner Tagesstrecke ist die neue Straße fertig und ich fahre auf einer Autobahn. Glatter Asphalt, breiter Seitenstreifen und nur noch Verkehr von hinten.
Und alles ist so übertrieben perfekt, dass sogar auf beiden Seiten alle 25 m Straßenlampen stehen. Diese werden wohl nachts eine fast verkehrsfreie Straße beleuchten.

Sogar ein zwei Kilometer langer Straßentunnel, zunächst noch einspurig befahrbar, ist fertig. Die Tunnelfahrten mit dem Fahrrad sind sehr anstrengend. Jedes Fahrzeug macht einen extremen Lärm darin. Ich weiß nicht kommt nur eins oder mehrerer. Eng ist es wegen fehlendem Seitenstreifen auch.

Die letzten zehn Kilometer durchfahre ich ein breites fruchtbares Hochtal. Danach kann ich mich nach Tatvan am Vansee hinunterrollen lassen. Ein Hotel ist schnell gefunden.
Den nächsten Tag werde ich hier verbringen. Huste in der Nacht, schlafe aus und bleibe am Frühstückstisch lange sitzen.

Mir ist aufgefallen, dass die Kurden viel schneller sprechen als die Türken. Sie besprechen mich auch deutlich mehr, obwohl sie eigentlich wissen, dass ich nichts verstehe. Die Gebärden beim Sprechen sind auch andere. Ich weiß nicht die Handzeichen zu deuten, denn mit den Händen wird viel erklärt.

Am Nachmittag fahre ich mit einem Taxi hinauf zum Vulkan Nemrut. Taxifahren ist nicht schön. Der Fahrer telefoniert mit der einen Hand, gestikuliert mit der andern bei hoher Geschwindigkeit. Bin froh als die Straße schlecht wird und er an sein Auto denken muss.
Zur Skisaison im Winter ist sogar ein Lift in Betrieb.
Der Gipfel des Nemrut wurde bei der Explosion weggeschleudert. Es entstand ein riesiger Kraterkessel mit einem Durchmesser von etwa 7 km. Unten gibt es einen großen Kratersee zu dem das Taxi fahren kann – auf schlechter Straße. Am See auf gut 2000 m Höhe tummeln sich direkt am Ufer Heerscharen von Marienkäfer. Weshalb haben sie sich wohl diesen Platz ausgesucht?
Bei der Rückfahrt habe ich eine weite Sicht über den Vansee. Sehe die Schneeberge auf der anderen Seite, die ich am nächsten Tag durchfahren oder nahe daran vorbeifahren werde.

Steine, Schafherden und grüne Hügel.

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Apr 252014
 

DSC04481355. Reisetag

11.665 km

 

Das zweite Aufstehen am Morgen fällt mir schwer. Bin etwas träge nach dem Frühstück, zumal ich weiß, dass der Wind an diesem Tag gegen mich sein wird.
Auf der Straße legt sich die Mattigkeit. Es wird sogar ein schöner, wenn auch anstrengender Tag. Es geht anfangs in die Höhe. In den Niederungen Felder, sonst ist es eine steinige Hügellandschaft. Von den Äckern und Wiesen sind die Steine zu Mauern aufgeschichtet und durchziehen das Land. In dieses Umfeld gehören einfach die großen Schafherden.

Leider ist auch die Straße sehr steinig. Nur wenige Tropfen Teer halten den groben Belag zusammen. Da lösen sich schon mal Einzelteile und machen das Fahren sehr holperig.
Trotzdem, diese karge Landschaft durchfahre ich lieber als die weite Ebene mit nichts als Weizenfeldern. Es gibt hier viel zu schauen, auch wenn es nur Steinmauern und Schafherden sind.

Ich fahre in die Höhe über einen Pass. Oben wird aus einem Fass gekühlter Ayran verkauft. Ich genehmige mir zwei Gläser. Danach könnte ich mich fast 10 km rollen lassen, wenn der Wind nicht wäre. Über ein Nebental geht es 500 m hinunter zum Tigris.

Im Tigristal ist eine rege Bautätigkeit zu sehen. Das Staudammprojekt Ilusu soll den Fluss stauen. Viele Ortschaften, darunter auch das geschichtsträchtige Dorf Hasankevf – durch das ich gleich fahre – werden in den Fluten verschwinden.

Der Ort galt als wichtiger Tigrisübergang, deshalb stritten sich Römer und Perser darüber, bis die Araber im 7. Jh. den Ort eroberten. Unter den Seldschuken im 11. Jh. wurde Hasankevf ausgebaut und befestigt. Aus dieser Zeit stammt die mächtige Brücke deren Grundpfeiler heute noch aus dem Tigris ragen.

Die Weiterfahrt ist weniger interessant, erst ein wenig am Fluss entlang, dann in die Höhe und durch breite Täler mit Weizenfelder. Im Hochtal stehen viele Ölpumpen. Das Öl wird wohl in der großen Stadt Batman, mein Übernachtungsort, raffiniert. Am Abend legt sich eine Ölgestankwolke über die Stadt. Beim Abendessen setzte ich mich zu zwei Herren aus Istanbul an den Tisch. Sie installieren Salzkammern für Menschen mit Atmungsschwierigkeiten. Sie haben diese Stadt wegen der schlechten Luft ausgesucht.

Am nächsten Morgen fahre ich entlang des Batman-Cayi-Flusses auf ebener Straße 30 km Richtung Norden, danach durch ein grünes Hügelland nach Osten.
Etwas abseits einer Ortschaft stehen zwei aggressive Jugendliche und schmeißen mir faustgroße Steine nach. Getroffen haben sie nicht. Vor solchen Situationen hatte ich bereits von anderen Reisenden im Internet gehört. Da ist mir schon ein wenig mulmig geworden.
Das ist die erste ungute Begegnung auf meiner Reise gewesen. Ich hoffe, es bleibt auch die letzte.

Im kleinen Ort Ziyaret gibt es erstaunlicherweise ein großes Hotel. Nach 80 km Tagesfahrt übernachte ich hier. Ziyaret ist ein Pilger-Ort. Verehrt wird Veysel Karani, ein Zeitgenosse des Propheten Mohammed. Veysel Karani ursprünglich aus dem Jemen gilt als der erste “Sufi” überhaupt. In seinem Mausoleum steht ein Sarkophag. Frauen und Männer haben getrennte Eingänge und einen Sichtschutz dazwischen, damit sie bei ihrem Gebet nicht abgelenkt werden.

 

 

 

Durchs nicht so wilde Kurdistan.

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Apr 232014
 

DSC04412353. Reisetag

11.501 km

 

Urfa verlasse ich bei regen Morgenverkehr. Fahre zwei Tage fast direkt Richtung Osten, nicht weit von der syrischen Grenze entfernt. Eine kleine Hügelkette ist zu überwinden. Zum Abschluss des zweiten Tages geht es steil 500 m in die Höhe.
Ich lege Strecke zurück, viel Abwechslung habe ich nicht. Komme gut voran, der Asphalt ist glatt. Der Wind um mich herum dreht sich, mal von vorn, von der Seite und von hinten, das kann sogar in kurzen Zeitabständen erfolgen. So richtig stört er zum Glück nicht, ohne wäre aber angenehmer.

Es fahren viele Lastwagen an mir vorbei. Ich habe meine sichere Standspur. Die Auspuffgase treffen mich trotzdem. Bei mir hat sich in letzter Zeit wieder mein zäher „Tibethusten“ (auf einer Radtour dort hat er mich Monate danach nicht losgelassen) eingeschlichen. Auspuffgase reizen ihn besonders.

Auf beiden Seiten der Straße liegen im kräftigen Grün die großen Weizenfelder. Bewässerungskanäle vom Euphrat-Stausee sorgen für genügend Wasser. Die Verteilung scheint gut organisiert zu sein.
Über Tag wird es sehr warm. Der Fahrtwind kühlt mich zum Glück ein wenig. Einen Schattenplatz für Pausen suche ich vergeblich. Es ist eine Ebene ohne Bäume.
Über den wenigen steinigen Hügelabschnitten ziehen größere Schafsherden. Kleingruppen weiden zwischen Straße und Weizenfeld unter Aufsicht am Randstreifen.
Ich bin bereits tief in Kurdistan eingedrungen. Wenn ich zum Tee eingeladen werde, muss ich im Gespräch aufpassen, das ich in Kurdistan und nicht in der Türkei bin. Wurde einmal schon darauf hingewiesen.

Die erste Nacht verbringe ich in der Stadt Viransehir. Dort muss man nicht wirklich gewesen sein. Aufgefallen ist mir, das die Männer jetzt nach arabischer Sitte vermehrt ein Kopftuch tragen. Das war vorher nicht so.
In Mardin verbringe ich die zweite Nacht, diesmal in einem großen Hotelkomplex. Sonst hätte ich weitere 200 m in die Höhe fahren müssen (und am nächsten Tag wieder runter). Zu meiner Überraschung ist im Hotelpreis sogar ein üppiges Abendbüffet enthalten. Damit ist der Hotelpreis 90 TL (30 €) gegenüber den sonstigen Übernachtungsstätten mit nicht einmal hoch.

Der nächste Tag führt mich durch eine Hügellandschaft, diesmal auf schmaler Straße mit Verkehr und rauen Asphalt. Vermisse meine Standspur. Zwei Lastwagen und ein Fahrrad kommen nicht aneinander vorbei. Muss deshalb ab und zu auf dem sandigen Seitenstreifen halten. Die Lastwagen bremsen auch!

In einer kleinen Ortschaft werde ich von Hamit in gutem Deutsch angesprochen und zum Tee eingeladen. Er ist in Deutschland geboren, musste das Land verlassen, möchte aber zurück. Hoffe für ihn, dass es klappen wird.

Fahre über weitere Hügel und erreiche meinen Übernachtungsort, die Stadt Midyat, am späten Nachmittag.