Thomas Kipp

Apr 242012
 

 

8. Reisetag

172 km

 

Wieder geschafft. Um 9.30 Uhr an der Fähre angekommen, vorher 25 km über die Straße geradelt. Es ist ziemlich bergig hier und das Gesamtgewicht von Fahrrad, Gepäck und mich von ca. 120 kg macht sich bei den Anstiegen ganz schön bemerkbar. Abspecken kann leider nur ich, arbeite dran.

Nach 15 km bin ich auf dem Trans Canada Trail – im weiteren TCT. Wählte eine Abkürzung via Fähre, um weitere Berge zu sparen. Hatte großes Glück, eine Holzbrücke, die nach meiner vorliegenden Beschreibung abgebrannt war, ist seit 6 Monaten wieder befahrbar. Spare so 10 km Straßenumweg.

Diesmal ist der Trail eine alte Eisenbahntrasse befestigt als Feldweg, meist gut befahrbar, hin und wieder holperig oder matschig. Gigantisch sind die Holzbrückenkonstruktionen über die Flüsse. Der Weg führt durch unberührte meist einsame Natur. Das Umfeld ist einfach nicht zu beschreiben oder auf Fotos wiederzugeben. Manchmal habe ich das Gefühl einen Zauberwald zu durchfahren. Mit Moos und Flechten überzogene große Urwaldbäume, viele Farne. Zwischen den Bäumen einen Blick auf den Cowichan Creek (Fluss). Ganz vereinzelt kommt mir Fahrradfahrer entgegen. Es ist ein großartiges Gefühl hier durchfahren zu können und ich weiß weshalb ich unterwegs sein möchte.

Nach 75 km sollte eigentlich der Campingplatz kommen, leider nicht mehr vorhanden. Zum Glück kam auf einer Querstraße ein Auto vorbei um mir weiterzuhelfen. Der nächste Platz 2 Meilen die Straße entlang, direkt am Fluss, leider bergig. Das letztere stimmte, die 2 Meilen wurden zu 6 km und dann ging es steil bergab. Die Höhe, die der TCT als alte Eisenbahnstrecke mit langsamer Steigung erklommen hatte war dahin. Der Zeltplatz unten am Fluss war geschlossen. Hatte keine Wahl und war damit auch der einzige Gast in der Einsamkeit. Es gab eine Handwasserpumpe. Hier verbrachte ich meine erste Zeltnacht. Vorbeugende Bärenabwehrgeschichten gingen mir durch den Kopf. Entsprechenden Spray ausgepackt, gekocht 50 m vom Zelt (schmeckte furchtbar, Nudeln mit langweiligster Tomatensoße). Werde mir in Zukunft Outdoor-Fertiggerichte besorgen, die durch Wasserzusatz ein schmackhaftes Essen ergeben sollen. So steht es wenigstens auf der Packung. Nach dem Pumpenwaschen alle Ess- und Waschsachen in die Tasche. Diese per Seil auf den Baum gezogen. Mit dem Einbruch der Dunkelheit so um 21 Uhr dann ins „Bett“. Die Nachtgeräusche waren nicht besorgniserregend. Habe relativ gut geschlafen. Nur die 50 cm Breite Luftmatraze ist noch gewöhnungsbedürftig. Am Morgen Kaffee gekocht und Müsli gegessen – diesmal hat es vorzüglich geschmeckt.

Da ich tief unten im Tal war wollte ich nicht den gestrigen Weg zurückfahren. „Quäl dich“-Etappen wird es noch genug geben. Bin die River Botton Street weitergefahren, die wiederum alles andere als eben war und nach 15 km auf den TCT gestoßen. Dieser machte wegen den Steigungen einen weiten Bogen und war wieder abwärtsgehend. Bald hörte die alte Eisenbahntrasse auf. Auf der Straße fuhr ich bis zu einem Zeltplatz an der Küste mit WiFi, warmer Dusche und Essen im Ort. Sobald ich das Zelt aufgebaut hatte fängt es beständig an zu Regnen.

 

 

Apr 222012
 

6. Reisetag
48 km

 

Es dämmert und ich bin schon wach. Die Uhr zeigt sechs. Der Zeitgewinn macht sich noch bemerkbar. Sogar Kaffee gibt es schon im Hotel.

Heute geht es mit der Fähre nach Vancouver Island. Selber fahren geht nicht. Auf der Strecke liegt ein Tunnel unter dem Fraser-River, der nicht mit dem Fahrrad befahren werden darf. Außerdem ist der Anleger ca. 50 km entfernt. Erst also in die Metro, dann mit dem Bus zum Anleger, dieser kann wie alle anderen Busse in der Stadt zwei Fahrräder auf einem Vorbau mitnehmen. Vancouver ist sehr fahrradfreundlich, der Transport kostet nichts extra, auf den Straßen sind Fahrradspuren und gegen die Einbahnstraße darf man meist auch fahren.

Um 9 Uhr bin ich auf der Fähre. Die Fahrt dauert ca. 2 h. Erst übers Meer, dann durch eine Inselwelt. An den Ufern stehen großzügig verteilt wunderschöne Holzhäuser.

Der Himmel ist halb blau. Das hält zum Glück den ganzen Tag an. Nach der Ankunft geht es mit dem Fahrrad ca. 40 km zur Inselhauptstadt Victoria. Anfangs ist der Weg eben. Die Wiesen stehen teilweise unter Wasser, viele Wildgänse sind unterwegs. Hat wohl häufig geregnet. Schon lange vor Victoria reiht sich dann an der zum Teil steilen Küste ein Haus an das andere. Die Siedlungen sind so, wie ich sie aus amerikanischen Filmen kenne. Meist schmucke Holzhäuser, alles sehr gepflegt mit gerader Rasenkante. Im Stadtzentrum gibt es wieder die normalen Geschäftshäuser (zum Glück keine Hochhäuser), in denen alle die Dinge zu kaufen sind, die man nicht wirklich benötigt. Lebensmittelläden sind nur schwer zu finden.

In Victoria ist der Startpunkt des Trans Canada Trails beim Kilometer NULL. Es ist ein Radfern- und Wanderweg, der von der Westküste zur Ostküste Kanadas führen soll. In British Columbia (da bin ich) ist er weitgehend fertig, an der Ostküste auch, im Mittelteil aber so gut wie gar nicht vorhanden. Der Trail wird überwiegend von Freiwilligen erstellt und durch Spendengelder finanziert. Große Teile des Weges verlaufen über stillgelegte Bahntrassen. Dieser Trail wird im folgenden Monat mein Weg sein, der mich in die Rocky Mountains führt.

Folgendes ist mir aufgefallen was in Kanada anders ist:
Die endlos geraden langen Straßen. Hausnummern über 5000 sind keine Seltenheit. Viele Kanadier laufen mit ihrer (etwas größeren) Trinktasse mit Deckel herum – wie in China. Diese lassen sie auch in Cafes auffüllen. Setzen sich damit hin oder gehen weiter. Das allgemeine Preisniveau ist deutlich höher als bei uns und die Preise werden immer ohne Steuern angegeben (es kommt noch einmal ca. 10% dazu). Geraucht werden darf in öffentlichen Gebäuden und Plätzen nicht, Alkohol gibt es nur in lizensierten Läden oder Restaurants. Fahrradfahrer müssen einen Helm tragen. Eine Ladenschlusszeit gibt es nicht, auch nicht am Sonntag.

 

 

 

 

Apr 212012
 

4. Reisetag

 

Mit der Sonne zu fliegen ist angenehm. Da muss ich keine – meist erfolglosen – Versuche unternehmen um einzuschlafen. Nach 9,5 h bin ich und weitere 300 Mitfliegende in Vancouver gelandet. Habe das Rad zusammengebaut und mit der Metro ging es dann in die City. Die letzten 2 km radelte ich zum vorgebuchten Hotel. Die Lage ist wunderbar ruhig, in der Nähe eines Parks. Kein Abendessen. Wollte einfach nur schlafen und es ist mir die nächsten 11 h auch gelungen. Irgendwie muss ich die zusätzlichen 9 Tagesstunden verarbeiten.

Der Morgen begann für mich dann um 6 Uhr. Eigentlich nicht meine Zeit. Zum Glück gab es im Hotel Kaffee zu trinken. Gefrühstückt habe ich auswärts. An manche kanadischen Gegebenheiten muss ich mich wohl noch gewöhnen. Ein Frühstücksmenü kann aus einem Teilchen bestehen – ohne ein Getränk.

Schon bei der Ankunft war mir die multikulturelle Bevölkerung aufgefallen. Den Kanadier als Ureinwohner gibt es nicht. Die Europäer waren die ersten Eroberer gewesen, danach kamen aus allen Weltteilen die Einwanderer. In Vancouver leben ca. 25% Asiaten. Die chinesische/japanische/koreanische Schrift und Sprache (ich kann sie nicht auseinanderhalten) ist allgegenwärtig. Und entsprechend vielseitig ist das Essen. So viele Esslokale habe ich in kaum einer Stadt gesehen. Nur leider fehlen mir die Bäckereien (die es in Bonn ja fast an jeder Straßenecke gibt).

Die City und die vielen Uferbereiche sind mit gläsernen Wolkenkratzern gut bestückt. Dazwischen stehen auch noch viele wunderschöne Holzhäuser. Die Stadtplaner haben es sich einfach gemacht. Die Straßen haben oft beachtliche Längen, sind schnurgerade und kreuzen sich im rechten Winkel. Da die Zahl der kanadischen Provinzen, Städte u.a. wohl nicht für die ganzen Straßennamen ausreichten, wurden die Querstraßen dann einfach mit Nummern versehen.
Im Norden ist Vancouver von einer Bergkette begrenzt, auf der noch Schnee liegt. Da denke ich etwas mit Schrecken an meine Weiterfahrt in die Berge.

In den vier Tagen hier habe ich noch meine Ausrüstung erweitern, u.a. mit Bärenspray (welches ich hoffentlich nicht einsetzten muss). Gestern bin ich durch Chinatown geradelt und danach noch im indischen Viertel gewesen. Beides hat mich nicht so beeindruckend, habe aber gut indisch gegessen. Heute ging die Radtour durch den wunderschönen Stanley-Park. Eine Halbinsel mit riesigen Mammutbäumen und vielen – nicht sehr scheuen – Tieren. Und es war der erste Sonnentag für mich, das Wetter ist leider nicht sehr beständig.

Morgen geht es weiter mit der Fähre nach Vancouver Island. Da heißt es früh aufstehen.
Ich genieße mein Reisen ohne Zeitdruck.

 

Apr 122012
 

In Bonn

 

Der Kaffee dampft. Da es noch kalt ist brennt der Kaminofen. Das Ei ist gerade richtig gekocht – nicht zu weich und nicht zu hart. Die Zeitung ist auch schon da. Ich sitze am Frühstückstisch und beginne den Tag zu genießen. Diese Gemütlichkeit werde ich wohl bald vermissen.
Gedanklich bin ich nicht so ganz hier. Habe ich alles beisammen? Die 24 kg Gepäck – inklusive Zelt, Schlafsack, Kocher nebst Töpfen usw. – sollen für das nächste halbe Jahr alles sein, was ich für mein Leben benötige. Essen ausgenommen und natürlich das Fahrrad (und die leichte aber wichtige Kreditkarte).

Mit dem beladenen Fahrrad habe ich schon und eine kleine Runde gedreht. Es ist jetzt in einem Karton verpackt und wird als Sportgepäck befördert. Die 5 Fahrradtaschen sind – weil es die Fluglinie so vorschreibt – als ein Gepäckstück in einer großen Tasche zusammengekommen.

Dann heißt es für eine lange Zeit Abschied nehmen. Der Flug von Frankfurt geht um 13 Uhr. In Vancouver werde ich bereits um 14 Uhr ankommen. Dazwischen liegt leider die Flugzeit von ca. 10 h, es wird ein endlos langer Tag werden.

 

Gedanken zum Flug:
In meinem Alltag versuche ich ökologisch bewusst zu leben. Ein Flug der 4 Tonnen CO2 produziert belastet nicht nur die Umwelt sondern auch mein Gewissen. Auch der gezahlte Atmosfair-Beitrag kann dieses nicht wirklich aufheben.