Thomas Kipp

Mai 102012
 

24. Reisetag

1061 km

Gestern war ein Brückentag. Ich bin über 18 Brücken im Myra Canyon gefahren.

Es ist eine bizarre Landschaft. 2003 war ein Feuersturm durch den Canyon gefegt und hat alles verbrannt – die Wälder und die alten Brücken. Verkohlte Baumstümpfe und kahle Hänge sind die Zeugen des damaligen Feuers. Die Natur lässt sich durch derartige Ereignisse nicht aufhalten. Hat der Samen nun im Boden überlebt oder der Wind hat ihn hergetrieben – ich weiß es nicht? Zwischen den verkohlten Resten wachsen bereits auf weiten Flächen neue Tannen und Kiefer. Die Menschen waren diesmal schneller als die Natur. 2008 waren alle Brücken neu erstellt, durch Freiwilligenarbeit und Spenden. Der TCT war wieder befahrbar.

Ich konnte in ca. 1.250 m Höhe über 15 km ohne Steigungen den Canyon umfahren. Mit weitem Blick in den Canyon und auf die andere Hangseite.

Bevor ich dieses Erlebnis haben konnte war am Tag davor wieder Bergfahrt angesagt. Auf weniger gutem Weg schraubte ich mich 850 m in die Höhe – meist mit Blick auf den Okanagan See.
Es gab Warnhinweise auf Klapperschlangen. Habe aber kein Klappern gehört. Es ist wohl noch zu kalt. Ein murmeltierartiges Wesen machte Männchen am Wegesrand. Als es mich sah verschwand es in seinem Bau. Die Neugierde ließ es aber bald wieder herauskommen. Fasst angegriffen wurde ich von einem huhnartigen Vogel. Er kam immer näher auf mich zu und fing an zu Hacken. Da bin ich weitergefahren. Unterwegs traf ich einen Schweizer Radler. Er war schon länger unterwegs. Ehe ich eine Frage stellen konnte fing er ohne Unterbrechung an zu erzählen. Nach 15 Minuten unterbrach ich mit „ich muss mal weiter“ den Redefluss und war froh in die andere Richtung fahren zu können. Hoffe ich werde nicht auch mal so.
Am späten Nachmittag traf ich müde auf 1.250 m Höhe am Chute Lake ein. Hier sollte es Bett, Essen und einen Campingplatz geben. Mir blieb nur der Campingplatz. Alles war noch wegen Winter geschlossen. Kochte mein Tütensüppchen, schaute auf den See und habe in der Nacht so gerade nicht gefroren. Am Morgen schaute ich mich auf dem Anwesen ein wenig um und sah Erstaunliches. Es muss hier einen Sammler geben, der über Jahre auch wirklich alles gesammelt hat: Schilder, Werkzeugen, Maschinen und vieles mehr.

Die morgendliche Kälte in mir wurde bald vertrieben durch den Kaffee, die Sonnenstrahlen und die anfangs noch schlechten Wegverhältnisse. Der immer wieder mögliche weite Blick übers Tal auf den Okanagan See ließ Glücksgefühle aufkommen.

Im Myra Canyon war ich zeitlos geworden und konnte einfach nur stehen bleiben und schauen. Bis ich merkte, dass noch eine weite Strecke zur nächsten Unterkunft zu bewältigen war.

Nach dem Canyon wurde die Wegstrecke deutlich schlechter. Sand und Steine sind nichts gegen Teiche auf dem Weg. Viele Male musste ich die Radtaschen abnehmen, durch das Gestrüpp am Rande tragen und den gleichen Weg noch einmal mit dem Rad zurücklegen. Den fehlenden Spuren im Schnee zufolge war ich wohl der erste in diesem Jahr auf der Strecke. Nach einem Schild „passing not possible“ verließ ich den TCT, ohne nachzuschauen ob ich da doch durchkomme.  Über einen Feldweg erreichte ich erst eine Forststraße und dann den Highway, der mich nach Beaverdill führte. (Ich war froh über mein GPS-Gerät auf dem ich die Wege verfolgen konnte.)  Leider war das alte Hotel aus dem Jahre 1910 im letzten Jahr abgebrannt. Es wurde in meinem Führer so verlockend beschrieben. Ich fand ein Zimmer mit Kochgelegenheit. Zum Campen war es mir zu kalt.

Am nächsten Tag radelte ich auf dem Highway nach Midway, meiner nächsten Station. Zweimal versuchte ich es mit Abschnitten auf dem nahen TCT. Die Wegverhältnisse dort waren so schlecht, dass ich es aufgab.

 

 

 

 

Mai 072012
 

21. Reisetag

867 km

Bin 50 km gefahren. Habe dafür 6,5 h benötigt. Es war anstrengend.

Fahre wieder auf dem TCT. Bei mäßiger Steigung von ca. 2 % schlängelte sich der Weg 600 m den Berg hinauf. Entlang über Wiesen und Wälder. Lange Strecken an steilen Abhängen mit weitem Blick ins Tal. Durch Schluchten, über Brücken, Dämme und durch einem Tunnel. Nur ich war unterwegs. Häufig kam die Sonne durch. Es fiel kein Regen. So hatte ich mir die Landschaft vorgestellt.

Das Eindringen in diese einsame Landschaft forderte meinen Einsatz. Schwierig war die Wegbeschaffenheit. Steinige Strecken sind noch zu befahren, da kann ich ausweichen. Bei sandigen Abschnitten muss ich mit aller Kraft treten oder bleibe stecken. Habe das Rad oft schieben müssen, nicht der Steigung wegen. War damit kaum langsamer als mit 7 Stundenkilometer auf dem Rad.

Die Nacht wollte ich oben am Osprey Lake in 1.150 m Höhe im Zelt verbringen. Dort gibt es eine kleine Siedlung. Gezeltet hatte ich nicht. Reste von Schneefelder schreckten mich ab. Am späten Nachmittag fragte ich ein Paar nach der nächsten Unterkunftsmöglichkeit. Sie boten mir ein kleines Zimmer, in dem gerade ein Bett platz hat zum Übernachten an. Mit Heizung und Duschmöglichkeit. Das war gut, denn es wurde bitterkalt. Eine feine Eisschicht umsäumte am Morgen Bereiche am Seeufer.

Habe meine Fahrt durch Kanada wohl etwas früh begonnen – but it’s a long way! Die ersten Fröste im Osten des Landes kommen bereits im September.

Beim morgendlichen Kaffeetrinken wärmten mich bereits die Sonnenstrahlen aus einem wolkenlosen Himmel. Die Weiterfahrt ging anfangs schwierig voran. Die Quads, die hier viel und wild gefahren werden geben einer guten Wegebeschaffenheit keine Chance. Es ging aber bergab, den ganzen Tag über 900 m.

Für mich ist es immer ein besonderes Erlebnis über die Trail-Brücken zu fahren. Ich schaue mir die unterschiedlichen Konstruktionen an, welche die tiefeingeschnittenen Flusstäler überspannen. Die Brücken bestimmen ob die Teilstrecke des Trails befahrbar ist.

Zur Mittagszeit löste ein fester Belag die raue Wegoberfläche ab. Genussradeln war angesagt, durch ein enges Tal mit Gebirgsbach und steilen steinigen und bewaldeten Hängen. Nach 35 km tauchten die ersten Orte auf. Der Blick ging über die Weite der fruchtbaren Okanagan Landschaft, einem Wein- und Obstanbaugebiet mit ihren blühenden Obstbäumen. Es war warm geworden. In T-Shirt und kurzer Hose radelte ich hinunter ans Ufer des Okanagan Lake. Die Landschaft erinnerte mich an die der großen Alpenseen in Italien. Ein feiner Sandstrand lädt zum Baden ein. Das Wasser ist noch zu kalt, einige Sonnenbader liegen bereits am Strand. In Penticton mache ich einen Tag Pause, schlafe aus, kaufe ein und freue mich auf das Essen in einem indischen Restaurant.

 

 

 

 

Mai 042012
 

18. Reisetag

746 km

 

Geschafft, den Pass und ich war es auch. Die letzten hunderte Meter bis zum Gipfel nahmen kein Ende. Nach jeder Kurve ging es weiter hoch. Die ersten Schneefelder tauchten bei 600 m Höhe auf. Oben am Pass war eine geschlossene dicke Schneedecke. Der Highway war geräumt.

Ein Highway ist so ein Zwischending zwischen Bundesstraße und Autobahn. Nur alles mit viel weniger Regeln – bis auf die Höchstgeschwindigkeit von 100 km. Großzügig breit, es gibt Ampeln, man kann links abbiegen, auch kleine Straßen oder Waldwege kreuzen. Wenn das Gelände nicht zu schwierig ist gibt es einen breiten Seitenstreifen für Radfahrer.

Ich hatte Glück, auf meiner Strecke war wenig Verkehr. Die LKW-Fahrer hielten meist ausreichenden Abstand und grüßten mich. Wir befördern ja auch beide Lasten, wenn auch auf unterschiedliche Art. Die Campingwagenfahrer mit ihren ferienhausgroßen Wohnmobilen waren weniger Rücksichtsvoll.

Die Gebirgszüge waren bewaldet. Holzstämme wurden sogar mit dem Hubschrauber aus unpassierbarem Gelände zur Abfuhrstelle geflogen. Diesmal gab es keine erkennbaren privaten Parzellen mit Häusern drauf.

Ich empfand ein wunderbares Gefühl durch die Berglandschaft und Einsamkeit zu radeln auch wenn es anstrengend war und die Straße ein wenig zu befahren. Ich lebe im Jetzt. Meine Probleme sind auf Unterkunft, Essen und Wetter reduziert. Keine Absprachen sind nötig, alles entscheide ich. Ein Gefühl von Alleinsein empfinge ich nicht.

10 km nach dem Pass gab es eine Lodge und ein Hostel, in dem ich gut die Nacht verbrachte. Hier machten Erdhörnchen (ich nenne sie so, da sie Löcher graben) vorbildliche Männchen.

Am Morgen schneite es bei 2-3 Grad. Nach dem gemütlichen selbergemachten Frühstück, Kaffee und Müsli, packte ich mich warm ein und fuhr los. Der Himmel klarte auf, zog sich wieder zu, mal leichter Regen, Hagel, Schnee und wieder Sonnenschein. Anfangs konnte ich die gestern erkämpften Berghöhenmeter gut nutzen, dann ging es unerwarteter Weise nochmals über einen fast 1.300 m hohen Pass, allerdings war ich in einer besseren Ausgangsposition. Hügelauf und etwas mehr hügelab ging es hinunter ins Tal. Es gab wieder Weideland. Viele Rehe (etwas größer als bei uns) waren zu sehen.

Das Stadtbild von Princeton ist wie die anderen durchfahrenen durch die flachdachigen Häuser im Westernstil geprägt. Dort quartierte ich mich in ein günstiges Motel mit Küche und Badewanne ein.

 

Mai 022012
 

16. Reisetag

608 km

 

Weiche diesmal bewusst vom Trail ab. Die Strecke wird als die schwierigste vom ganzen TCT bewertet. Wie es in der Beschreibung, kurz vor einem zu überquerenden Pass so schön heißt: „Die ersten 5 km dauern 3 h, gelten aber nur zum Aufwärmen für die nächsten 2 km bis zum 1418 m hohen Pass.“  Da passe ich und fahre die 55 km auf Straße und Highway.

Habe mir am Morgen Zeit gelassen, die Strecke ist nicht so weit und zum Mittag hin klart der Himmel eher auf. Auf kleinen Straßen die ersten 25 km zurückgelegt. Rundherum Wiesen, im Hintergrund die immer näher kommenden Schneeberge. Der diesmal wenig befahrene Highway führte mich dann direkt nach Hope. Alles ohne Steigung. Bei Sonnenschein und Regen. Die Temperaturen lagen zwischen 8 und 20 Grad.

Ich wundere mich über die hohen Hausnummern auf dem Land – heute über 50.000. Eventuell werden die Häuser hier straßenunabhängig erfasst?

Der Campingplatz in Hope sah öde aus, der kleine Ort war auch nicht besser. Als Besonderheit stehen hier viele Holzmonumente, meist mit Bären und Adler als Motiv. Auf der Rundfahrt durch den Ort wurde ich von einem Herrn angesprochen. (Leider verstand ich nur die Hälfe vom meist genuschelten, schnell gesprochenen Englisch. Die USA ist nicht weit entfernt.) Der wiederum rief jemandem an und ich bin privat in einem leeren Zimmer untergekommen. Ziehe dieses bei dem angesagten schlechten Wetter vor.

Von Hope aus sollte der Weg mich eigentlich für ca. 700 km auf der alten Kettle Valley Railway Trasse über Berg und Tal führen. Da die Schneegrenze in den letzten Tagen gefallen ist, werde ich die erste Bergkette streichen müssen. Bei Schnee einen schwer befahrbaren Feldweg alleine in der Wildnis auf 1150 m Höhe zu radeln, ohne Ausweichmöglichkeit auf eine Straße ist doch zu viel Abenteuer. Schade. So bleibt mir wieder der Highway. Dieser steigt aber auch über einem Doppelpass, der höhere über 1300 m, ganz schön an. An dieser Bergkette, die sich von Nord nach Süd zieht regnet es sich im Westen (daher komme ich) ab. Auf der anderen Seite ist besseres Wetter angesagt.

Heute in Hope geblieben und den Kettle Valley Trail angeradelt. Dieser führte mich eingezwängt zwischen steilen Schluchtwänden durch vier Tunnel (die Othello Tunnel). Unten braust der wilde Fluss. Eine technische Meisterleistung vom damaligen Konstrukteur Mc Culloch (1915) in diesem unwegsamen Gelände. Die Schlucht war einst auch Filmkulisse für den ersten Rambofilm.