Thomas Kipp

Mai 212012
 

35. Reisetag

1395 km

 

Ein Fremder schiebt sein Fahrrad mit Gepäck durch die Stadt, wird angesprochen und eingeladen ein paar Tage im Haus zu verbringen. Die Gastgeber fahren weg und stellen sogar ihr Auto zur Verfügung. Wäre das in Deutschland möglich?

In Kanada ist es möglich! Maureen und Henry luden mich ein einige Tage in ihrem wunderschönen Landhaus am Kootenay Lake zu verbringen. Sie selber hatten zu dieser Zeit einen Besuch bei Freunden eingeplant. Als ich am Vormittag von Nelson aus hinradelte, war Henry wegen eines verknacksten Rückens nicht mitgefahren. Nachmittags besuchten wir die Ainsworth Hot Springs. Eine heiße Quelle mit einer künstlich angelegten Tropfsteinhöhle zum Durchschwimmen im 42 Grad heißen Wasser. Anschließend ein (für mich kurzes) Eintauchen in ein 6 Grad kaltes Wasserbecken. Im Hintergrund die schneebedeckte Kette der Purcell Mountains. Es war ein tolles, wohlfühlendes Erlebnis.

Für mich ist es Urlaub im Urlaub. Am Abend spielte Henry mit mir Schach. Am Morgen gab es Heidelbeerpfannkuchen und Kaffee auf der Terrasse mit Blick auf den See. Kolibris saugten an einer Zuckerwasser“tankstelle“. Wegen ihrer Schnelligkeit beim Fliegen sehe ich sie erst wenn sie in der Luft stehen bleiben. War erstaunt, dass es hier überhaupt Kolibris gibt. Ein Spaziergang mit Henry und Hund Buddha führte mich in den direkt hinterm Haus gelegenen Urwald mit großen Zedernbäumen. Das Wasser für die Hausversorgung wird hier aus einem schnellfließenden Bach abgeleitet und hat einen wunderbaren Geschmack. Ich fühle beim Trinken die Energie des Gebirgsbaches. Woodpeaker hacken große Löcher in die Bäume, davon können unsere Spechte nur Träumen.

Am Montag regnet es den ganzen Tag. Bin froh im Haus verweilen zu können. Der Wetterbericht verspricht Besserung.

Eine gute Nachricht: 4 kg unnötigen Ballast (an mir) habe ich bereits abgeradelt.

Mai 182012
 

    32. Reisetag

1384 km

 

Tücke der Geologie. Alle Gebirgszüge im westlichen Kanada sind in nord-südlicher Richtung angeordnet. Sechs davon habe ich bereits überquert. Wellenmäßig bewege ich mich nach Osten vor, da die Wege nie in gerader Linie über die Berge geführt werden. Die große Herausforderung der Rocky Mountains steht demnächst noch bevor.

Von Trail aus fuhr ich entlang des mächtigen Columbus River Richtung Süden. Nach dem Mississippi ist dieser der am meisten wasserführende Fluss in Nordamerika. Kurz vor der Grenze bog mein Weg nach Osten ab entlang des D’Oreille River. Dieser Fluss fließt durch ein enges Tal. Damit eignete er sich vorzüglich zur Energiegewinnung. Eine Staustufe löst die nächste ab. Der Fluss ist eher ein langgezogener See mit steilen Ufern. Bereits nach 35 km Fahrt zog es mich auf einen Campingplatz unten am See um hier in der Einsamkeit eine Nacht zu verbringen. Es war warm und ich hatte Zeit. Ganz so einsam war es dann nicht. Es gab einige Tagesbesucher und 2 Camper in ihren großen Campingwagen. Die Übernachtung war umsonst. Die für mich wichtige Wasserversorgung erfolgte über eine Handpumpe. Das Wissen, das Wasser erst nach längerem Pumpen zu verwenden, war mir durch meine bisherige Lebenserfahrung nicht gegeben. Das Wasser schmeckte anfangs fürchterlich, bis ich aufgeklärt wurde. Danach aber leider auch nicht besonders gut.

Auf dem Campingplatz ließen sich nicht nur die Menschen nieder. Wildgänsepaare jeweils mit Kücken grasten in großer Anzahl auf der Wiese. Sie waren mein Beobachtungsobjekt am Nachmittag. In der Frühe, hell wird es so gegen 4 Uhr, unterhielten sie sich besonders lautstark. Und wie an vielen Orten in Kanada steht auch hier eine gestiftete Bank in Memorium an einen Verstorbenen.

Am Morgen ging es vom Campingplatz steil hoch auf den holprigen Weg entlang des Stausees. Das Umfeld während der Fahrt war wunderschön mit Blick auf den See und den gegenüberliegenden Hang. Hier hatte im letzten Jahr ein Waldbrand gewütet und viele verkohlte Baumstümpfe hinterlassen. Einmal zog auf der staubigen Straße ein Fliedergeruch an mir vorbei. Am Wegesrand waren die blaublühenden Sträucher zu sehen.

Am Ende des Forstweges war auf der einen Seite die Grenze zur USA, ich nahm den Highway auf der anderen Seite, der mich nach 25 km nach Salmo brachte. Hier quartierte ich mich in einem Motel ein – mit Badewanne. Der örtliche Campingplatz war geschlossen.

Am nächsten Tag ging es weiter nach Nelson, meist auf dem Highway. (Als Anmerkung zum Highway: dieser kann auch Landstraße mit wenig Verkehr sein.) Der Trail war leider wegen Bärenaktivität geschlossen. Ich möchte eigentlich einen Bären sehen. Herausfordern wollte ich so ein Treffen aber auch nicht.

In Nelson mein Erstaunen. Zwar hat die Stadt nur ca. 10.000 Einwohner, aber was für ein Unterschied zu den anderen Orten, die ich gesehen hatte, Vancouver und Victoria ausgenommen. Viele junge Leute auf der Straße, schick und flippig angezogen. Hippies, die Musik machten, Indienshops und viele Kaffees und Restaurants, sogar ein vegetarisches. Ein Ruhetag habe ich hier eingeplant mit Ausschlafen und Wäschewaschen.

Mai 142012
 

28. Reisetag

1270 km

bisher 10.299 Höhenmeter

 

Jetzt ging es wirklich nicht weiter. Die Schneefelder wurden immer tiefer, länger und häufiger. 5 km vor und 100 m unterhalb des höchsten Punktes von 1200 m auf der vorgesehenen Strecke.

So leicht wollte ich mich erst nicht geschlagen geben. Zuerst schob ich das Rad durch den Schnee, das war mit dem schweren Gepäck sehr anstrengend. Dann nahm ich die Taschen ab, trug diese voraus und holte das Rad nach. Es gab immer wieder schneefreie Abschnitte. Diese wurden leider seltener. Ich gab die Weiterfahrt auf. Der Rückweg durch den Schnee war ähnlich beschwerlich. Nach Erreichen des festen Weguntergrundes fuhr ich 5 km zurück um einen Zugang zum Highway zu bekommen. Auf diesem ging es nochmals 500 m recht steil in die Höhe bis zum Pass. Es war bereits 18 Uhr als ich dort ankam und der Tag war anstrengend gewesen. Ohne ein sonst häufiges auf und ab konnte ich mich von hier aus 1000 m über 30 km anstrengungslos in die Tiefe rollen lassen. Entspannte am Abend meine müden Glieder durch ein Bad im Motel und genoss danach noch beim Inder ein Mother-Day special.

Der Morgen hatte so gut angefangen. Immer am Hang entlang durch Waldgebiete und Blick auf den Christina Lake ging es in die Höhe. Ich war zeitlich gut vorangekommen. Unterquerte noch die Highwaybrücke, nicht ahnend, dass ich noch auf diesem fahren werde. Bis der Schnee mich stoppte.

Die Strecke heute war problemlos und kurz. Zum ersten Mal packte ich die Stiefel ein und zog die Sandalen an. Meine Fahrt ging am Columbia River entlang, fast ohne Steigung. Bei 30 Grad im Schatten baute ich am Nachmittag mein Zelt etwas außerhalb der Stadt Trail auf. über der Stadt qualmen die Schornsteine. Hier werden Blei- und Zinkerze verhüttet, in einer der weltweit größten Anlage.

Mai 122012
 

26. Reisetag

1144 km

 

Das war eine Überraschung. Nach über 1000 km Fahrt durch Kanada tauchte gestern bei der Abfahrt in 750 m Höhe die erste Schutzhütte auf, mit Holzpritschen zum Übernachten. Auf der einen Seite der weite Blick ins Tal, auf der anderen eine 40 m hohe Felswand, dazwischen die Hütte und der Weg.

Dass ich hier die Nacht verbringe war mir sofort klar. Mein Wasservorrat betrug 2,5 l. Langt gerade für eine abendliche Suppe und den Morgenkaffee mit Müsli. Ein zufällig vorbeikommender Quadfahrer, in meiner Beliebtheitsskala eher unten stehend wegen der Wegaufwühlung, brachte mir auf Anfrage mit einer erneuten Tour 3 l Wasser nach. Damit war Luxus angesagt.

Lange saß ich auf einem Stein und genoss den Blick in die Weite, bis die Sonne den Bergschatten auf mich warf. Unten mäanderte ein Fluss, Wiesen, dahinter Berge mit Wald, vereinzelt Häuser und ganz in der Ferne ein Schneeberg. So eine Ruhe hatte ich auf dieser Reise noch nicht verspürt. Es war schön alleine zu sein. Nur eine sehr vertraute Person hätte meinen Frieden nicht stören können.

In Midway war die Endstation der Kettle Valley Railway und der Beginn der Columbia & Western Railway. Ich blieb also auf dem Trail. Leider war dieser auch weiterhin nicht immer einfach zu befahren. Steinig, sandig und weitere Hindernisse. Mal ist ein Tor mit einem Gatter mit Schloss versehen. Muss dann Fahrrad und Taschen darüberheben. Farmer haben große Steine vor die Gatter gelegt, wieder ist heben angesagt. Der Trail kann auch einfach auf einer Wiese enden, dann ist meist ein Hinweis zu einer Straße gegeben. Immer das Hoffen, dass es irgendwie weitergeht und ich nicht zurückfahren muss.

Midway liegt im Tal des Kettle Valley River, nahe der Grenze zur USA. Wäre gerne am Fluss weitergefahren. Müsste dabei für eine kurze Wegstrecke die Grenze überschreiten. Wegen der schwierigen Einreisebedingungen: Keine Lebensmittel mitnehmen, vorher Antrag im Internet stellen versuche ich es gar nicht und wähle die Bergetappe.

Durch Farmland mit Weiden für die Rinder ging es mit eisenbahnmäßiger Steigung (2%) aufwärts. Nach 15 km tauchte eine ca. 15 m hohe lange Wand von Schlacken am Ortsrand auf. Diese wirkte düster und bedrohlich. Ich fuhr durch Greenwood, in dem vor langen Jahren Kupfererze verhüttet wurden. Dem Erzreichtum dieser Gegend sind die Eisenbahntrassen zu verdanken.

Mittags nach 450 Höhenmetern war die Bergkuppe und die ehemalige Erholt Station erreicht. Hier war 1915 ein Eisenbahnknotenpunkt. Einfach nicht vorzustellen, ich war alleine mitten im Wald.

Auf steinigem Weg ging es abwärts. Am Hang entlang und durch zwei Tunnel, oft mit weitem Blick ins Tal. Bei der Fahrt musste ich mich auf den Weg konzentrieren. Die Weite konnte ich nur im Stehen genießen. Bis die Hütte am Wegesrand auftauchte in der ich einen wunderschönen Nachmittag und Abend verbrachte.

Am Morgen weckten mich die Sonnenstrahlen und es war fast warm beim Kaffeetrinken draußen auf der Bank.

Auf der Rumpelpiste ging es heute weiter ins Tal und 20 km am Kettle River entlang zum Christina Lake. Es war warm geworden. Hoffe die Zeit der Nachtfröste ist vorbei, denn Morgen geht es wieder in die Höhe.