Thomas Kipp

Jun 022012
 

46. Reisetag

1960 km

 

Einfacher als gedacht war der Einstieg in die Rocky Mountains gewesen.
Viele Tourenabschnitte vorher waren bedeutend anstrengender.

Die namensgebenden Castle Mountains für den Ort meiner letzten Nacht liegen am Morgen in den Wolken. Es nieselte fein. Auf einer ruhigen Nebenstraße fuhr ich durch den Wald Richtung Lake Louise.

Zwei Hirschkühe überquerten den Weg. Sie waren wohl durch mein Fahrrad so irritiert, dass sie gleich wieder zurückliefen. Wenig später trottete vor mir ein Schwarzbär über die Straße. Er blieb am Straßenrand stehen und graste. Ich nahm mein Bärenspray in die Hand und nutzte meine Fahrradklingel. Der Bär spitzte die Ohren und verschwand. Vorsichtig setzte ich meine Fahrt fort. Es sind so Momente in denen alle möglichen Gefühle aufkommen. Anspannung, Unsicherheit, etwas unheimlich wird mir, aber auch Freude solche Erlebnisse haben zu können. Bei der Weiterfahrt achtete ich besonders auf den Straßenrand, um nicht unvermutet zwischen Bärenbaby auf der einen und Bärenmama auf der anderen Seite zu geraten.

Nach 2 h Fahrt kam ich im Ort Lake Louise an. Hier beginnt die Traumstraße der Kanadatouristen, der Icefields Parkway. Jeder Kanadareisende wird versuchen diese Straße zu fahren. Endsprechend voll ist es überall. Obwohl auf der kommenden Strecke viele Menschen unterwegs sind, muss ich hier meine Lebensmittel für die nächsten 230 km einkaufen. Es gibt keine weiteren Orte und Läden. Nur Hotels, Campingplätze und einige Jugendherbergen, in denen ich übernachten werde. Die Nachttemperaturen sind um die 0 Grad. Im Zelt ist es mir zu kalt und es regnet sehr häufig.
Die hiesige Jugendherberge ist mit einem Café und Internetzugang gut ausgestattet. Jugendherbergen bieten sonst keine Verpflegungsmöglichkeiten an.

Am Freitag machte ich einen Abstecher in die Berge zum Moraine Lake. Ohne Gepäck fährt es sich leicht, auch wenn es 500 m Höhenunterschied sind.
Ein huhnartiger Vogel – oder war es sogar ein echtes Huhn – lief vor mir über den Weg. Als es mich wahrnahm flog es auf einen Baum.
Der See war noch halb zugefroren, der Wasserstand niedrig. Die Schneeschmelze hat hier oben auf 2000 m noch nicht richtig begonnen.

Am Samstag ging mein Weg auf einer alten Trambahntrasse mit mäßiger Steigung hoch zum Lake Louise. Ich begegnete niemandem. Am Ziel angekommen waren riesige Parkplätze mit Blechkarossen und ein Betonklotz als Hotel, aber noch kein See zu sehen. Augen zu und daran vorbei. Hinter den Bäumen tauchte er auf. Die Aussicht war sagenhaft. Der smaragdgrüne See liegt zu Füßen gigantischer Felswände und Schneeberge. Er ist halb mit Eis bedeckt. Ein leichter Nieselregen begleitete mich auf dem Weg halb um den See. Die andere Seite ist nicht passierbar. Immer wieder hörte ich das Donnern einer Lawine im umliegenden Gebirge. Die Berge spiegelten sich im Wasser und Eis. Die Sonne kam kurz durch, danach goss es wieder kräftig.

Ich werde in der nächsten Woche von der digitalen Welt abgeschnitten reisen.

 

 

Mai 302012
 

 43. Reisetag

1872 km

 

Gespannt bin ich, wie es weitergehen wird. Die höchste und auch längste Bergetappe steht bevor, die Rocky Mountains. Es geht nicht nur hinauf, sondern ich fahre auch der Länge nach Richtung Norden darüber.

Die Straße führte mich zunächst durch den schmalen Sinclair Canyon recht steil in die Höhe. Mit reduzierter Steigung war bald danach der erste kleine und für diesen Tag einzige Pass erreicht. Die Anstrengung hielt sich in Grenzen.

Aus dem Gebüsch kam beim Anstieg ein merkwürdiges Wesen. Halb Schaf und von der Schnauze her ein Esel – ein Bighornschaf. Es begleitete mich ein kurzes Wegstück auf der anderen Straßenseite und verschwand wieder im Wald.

Nach dem Pass ging es zügig bergab. Ein breites Tal öffnete sich. Ich war wieder am Kootenay River. Mit der türkisblauen Farbe der Bergflüsse schlängelte er sich durch das Tal. Schnellfließend, mal in verschiedene Arme verzweigend um sich bald wieder im schmalen Flussbett zu vereinigen.

Die Sonne schien, am Horizont und neben mir Schneeberge und Wald. Der Highway war wenig befahren und hatte minimale Steigung. Ein tolles Gefühl hier zu fahren.
Ich machte eine Pause. Ein VW Bus hielt an. Ich hielt einen Plausch mit einem Paar aus der USA, die auch gerne mit dem Fahrrad unterwegs sind.

Auf einer Wiesenfläche neben der Straße stand ein Schwarzbär. Er hatte das Maul voller Gras. Er schaute kurz auf und graste dann weiter. Ich machte meine Bärenfotos. Hielt mich aber nicht lange auf.

Weiter oben im Tal hatten die Tannen ihr grün verloren. Über große Flächen standen nur noch ihre Gerippe. Ein Blitz hatte hier vor acht Jahren das Feuer entfacht.

Mein Tagesziel war nach 65 km erreicht. Für die Übernachtung quartierte ich mich in ein kleines Blockhaus ein. Nicht ganz günstig. Es gab aber nur diese Unterkunft auf der Strecke. Der Himmel zog sich zu. Es gab einen kräftigen Regenguss.

Am nächsten Morgen hingen die Wolken tief. Als ich losfuhr fing ein leichter Nieselregen an, der sich zu einem Dauerregen wandelte. Da es die nächsten 30 km bis zum Pass bergan ging, war mir bei 5-8 Grad nicht kalt geworden. Der Vermillion Pass mit 1680 m Höhe ist nicht nur die Grenze zwischen British Columbia und Alberta. Er ist die Wasserscheide zwischen Pazifik und Atlantik.

Am frühen Nachmittag kam ich – durch die steile Abfahrt durchfroren – in der kleinen Jugendherberge in Castle Mountains an. War noch der einzige Gast. Unterhielt mich mit dem Herbergsvater. Dann sind wir zusammen spazieren gegangen. Ein Elk (das ist ein großer Hirsch) weidete auf einer Wiese hinter der Jugendherberge.
Es kamen weitere Gäste. Der Abend wurde für mich einsamen Reisenden unterhaltsam und kommunikativ. Ich lernte interessante Menschen kennen.

Am Morgen fiel beim gemeinsamen Frühstücken spontan der Entschluss durch einen nahegelegenen Canyon und weiter das Tal hoch zu wandern. Ganz ans Ziel sind wir nicht gekommen. Eine Bärenmutter mit ihrem Jungen (von uns nicht gesehen) machte den Weg unsicher und wir kehrten um.

Mai 272012
 

41. Reisetag

1771 km

 

Bisher war er auf meiner Seite oder sogar behilflich gewesen. Am Freitag blies er mir voll ins Gesicht. Mit diesem Widerstand muss ich in den nächsten Tagen häufiger rechnen. Ich fahre gen Norden. Am Samstagnachmittag flaute er ein wenig ab, so dass ich mein Ziel Radon Hot Spring wider erwarten einen Tag früher erreichte.

Sobald ich die Stadt Cranbrook am Morgen verlassen hatte war die Sicht frei auf die Schneeberge. Angesichts der hohen Berge so direkt vor mir wurde ich doch ein wenig nachdenklich. Da wollte ich hinauf?

Erst einmal war der Wind mein Problem. Am 2. Tag hatte ich mich damit abgefunden. Beim gleichmäßigen langsamen Fahren kamen meine Einstellung und Gedanken in Einklang mit dem Umfeld. Die Straße war gerade, breit und wenig befahren. Der Verlauf war am Hang entlang und ich genoss den Blick in die Weite des Tales.

Geprägt war die Landschaft durch den Columbia River, der in den Kootenay River (Flussnamen werden häufiger vergeben) mündet. Die Flüsse mäandern durch ein weites Tal zwischen den hohen Bergmassiven von Purell und Rocky Mountains. Langgezogene Seen und Überschwemmungsflächen waren entstanden. Die Feuchtgebiete am Columbia River gehören zu größten Kanadas. Almähnliche Wiesen und Gehöfte wechselten sich mit Wald und Sumpfflächen ab. Mächtige Schichten von hellem Sandstein waren erodiert und der Blick hinauf erinnerte an die Zinnen einer Burg.

Am Straßenrand war ein Seeadlerhorst. Der Adler saß am Horstrand. Die Jungen hörte ich piepsen. Eine Pulp-Fabrik produzierte mitten im Wald den Rohstoff für die Papierherstellung zum Schaden der Natur. Squirrel (Erdhörnchen) gab es viele. Sie machten ihr Männchen, um den Überblick zu behalten.

30 km fuhr ich auf einer Nebenstraße. Ein junger Bär saß am Straßenrand. Ich habe ihn erst wahrgenommen, als ich direkt neben ihm war. Er sah aus wie das Vorbild der Teddybären. Anhalten durfte ich nicht. Die Mütter verstehen keinen Spaß wenn es um ihre Kinder geht.

Am späten Nachmittag kam ich nach 95 km in Radon Hot Spring an. Wegen der heißen Quelle ein Touristenparadies. Im Old Salzburg gab es Käsespätzle zu essen. Die Qualität reichte bei weitem nicht an die der Schwäbischen Spätzle aus Remagen heran. Dazu gab es ein Glas Warsteiner Bier. Am diesem Abend beim Essengehen und Tagesausklang vermisste ich schon ein wenig die Gesellschaft von Mitreisenden.

Heute ist für mich Ruhetag mit Ausschlafen, Wäschewaschen und ein Bad in der 39 Grad heißen Quelle nehmen. Morgen geht es hoch in die Berge.

Mai 242012
 

38. Reisetag

1617 km

 

Von der Fähre aus sehe ich die letzte Bergkette vor den Rocky Mountains. Der TCT findet einen Weg hinüber. Mit Höhen von fast 2000 m und keine Straße in der Nähe. Für mich nicht befahrbar, da auch noch Schnee liegen wird. Jetzt verlasse ich den TCT im Westen von Kanada. Highways werden mich in der nächsten Zeit durch die Lande führen.

In einem großen südlichen Bogen führte mich dieser zunächst um und auch etwas über das Bergmassiv. Erst bei Sonnenschein und dann bei 30 km Regen entlang des Kootenay Lake in die Stadt Creston. Weite landwirtschaftlich genutzte Ebenen breiten sich am Ende des Sees aus. Umgeben von den Bergmassiven.

Die erste Bärenmeldung, ganz unspektakulär. Ich fuhr auf der rechten Seite der Straße und ein Schwarzbär trottete ca. 200 m vor mir am linken Straßenrand. Er verschwand, als er mich wahrnahm sofort im Gebüsch.

Ein Seeadler flog über mich hinweg.

Am nächsten Morgen ging es in die Berge. Oft stehe ich vor einer Bergkette und frage mich, wo die Straße weitergeht. Am Moyie Fluss entlang windet sich der diesmal etwas mehr befahrene Highway mäßig in die Höhe. In den Bergen schmilzt der Schnee. Die Bäche und Flüsse führen viel Wasser und überschwemmen die Randbereiche. Die erste Zeitzone in Kanada ist überschritten.

Im Ort Moyie am gleichnamigen See wurden früher Silbererze abgebaut. Hausruinen, ein alter Friedhof und die Feuerwache mit nicht mehr hängender, aber vorhandener Glocke sind die Relikte aus dieser Zeit. In meinem Führer (2008) noch als verlassener Ort beschrieben hat dieser durch die freizeitliebenden Menschen wieder neues Leben bekommen. Überall am See stehen (Ferien?-)Häuser. Es gibt einen Laden und einen Pub.

Ich verbrachte die Nacht auf einem großem Campingplatz in einem Wald direkt am See. Es gab nur wenige Mitcamper in ihren RV (Recreational Vehicle, wie die Wohnwagen hier genannt werden). Neben dem Zelt zupften Rehe die Blätter vom Gebüsch. Meine Kochaktivität störte sie nicht. Unbekannte Geräusche ließen in der Nacht eine Gänsehaut entstehen. Meine Tasche mit den Esssachen hatte ich sicherheitshalber in einem leeren bärensicheren Mülleimer verstaut.

Am Morgen leider ein leichter aber dauernder Nieselregen. Unterm Baum war es noch trocken. Da nahm ich hockend mein Frühstück ein, bei 7 Grad. Bis in die Stadt Cranbrook waren es nur 30 km. Dort verbringe ich die Nacht in der Jugendherberge, die in einem Studentenwohnheim untergebracht ist. Bin der einzige Gast.

Die wenigsten Städte verleiten mich zu einem längeren Aufenthalt. Sie sind weitläufig, Motels am Highway bei der Ein- und Ausfahrt. Im Zentrum ein Supermarkt, einige andere Läden und Versorgungseinrichtungen. Alles ohne Ambiente.

Kootenay heißt die Provinz, der See und viele Flüsse tragen diesen Namen.