Thomas Kipp

Jun 152012
 

59. Reisetag

2696 km

 

Die bisherigen Erlebnisse bleiben in guter Erinnerung. Ein neuer Reiseabschnitt beginnt.

Vom Zug aus sehe ich die Prärie. Der Himmel nimmt den meisten Raum ein. Er ist blau mit einigen Kumuluswolken. Die Landschaft ist flach bis leicht hügelig. Buschland, riesige Weiden, abgeerntete und bereits eingesäte Felder mit dem ersten Grün. In den Senken sammelte sich Wasser, zu größeren und kleineren Seen oder es sind einfach Überschwemmungen.

Erdölpumpen und Gasförderanlagen standen im Westen der Prärie auf den Feldern. Kanada ist Erdölexporteur. In der Kritik ist das Öl aus den Schiefern und Sanden. Die Förderung ist extrem umweltverschmutzend. Die USA verweigert die Einfuhr dieses Öles. Die EU berät noch darüber.

Der Zug hielt bis 17 Uhr nur in zwei Orten. Beim zweiten Halt stieg ich aus.
Die Prärie unterteilte ich mir in 1000 km Bahnfahrt und 500 km Fahrrad fahren.
Der erste Teil ist nach 21 h geschafft.

Der Himmel ist am nächsten Morgen grau. Der Wind blies mir heftig entgegen. Die Wolken zogen in die andere Richtung.
Auf den vielen Wiesen grasten wenige Kühe. Große Ställe bei den weit auseinanderliegenden Gehöften sah ich aber nicht.
Einige Felder liegen brach. Die Einsaat hätte wohl schon erfolgen müssen. Insgesamt wurde wenig darauf gearbeitet.

Die Silhouetten der Siloanlagen ragten wie Kathedralen in den Himmel. Die großen Anlagen waren an den Eisenbahnschienen. Jeder Farmer hat diverse kleinere Silos aus Wellblech am Gehöft stehen. Die alten Scheunen zerfallen langsam.

Die Artenvielfalt der Vögel ist sehr reduziert. Auf den Wasserflächen waren nur Enten zu sehen, keine Gänse oder Reiher. Der Vogel mit den roten Flecken am Flügel ist vielfach vertreten. Er sitzt gerne auf dem Schilfrohr und fliegt zirpend auf, wenn ich vorbeifahre.
Die Monokulturen von Weizen- und Wiesenflächen hinterlassen ihre Spuren.

Am späten Nachmittag zieht eine Gewitterfront auf. Ich sah die Blitze bereits in der Ferne zucken. Die nächste Ortschaft war nicht weit. Dort suchte ich mir eine feste Unterkunft.
Die Gewitter- und Regenschauer hielten bis in die Nacht an.

Der Donnerstagmorgen begann mit Sonnenschein. Aber bereits zum Mittag verfolgte mich über 35 km ein kräftiger Regenschauer. Der Wind blies aus dem Süden und traf mich seitwärts. Das Radeln war bedeutend einfacher als am Tag vorher. Die Landschaft war – wie gehabt – flach bis leicht hügelig. Wiesen mit wenig Kühe, Weizenfelder und ab und zu ein See oder etwas Sumpf. Die Prärielandschaft hat ihren Reiz mit der Weite und dem vielen Himmel. Dazu gehört auch das schnelle Radeln auf den geraden Straßen mit wenig Verkehr. Es gefällt mir. Bin jetzt in der Provinz Manitoba.

Mit meinem Essengehen ist es auf dem Lande nicht so einfach. Ich habe keine Lust die Kettenlokale Chicken Chef, Cosy Chicken, Family of Hamburger oder wie sie alle heißen zu besuchen. Es fehlt mir ein wenig die Gemütlichkeit und ein leckeres Essen.

Der Freitag war ein Tag wie ihn sich jeder Radler wünscht. Kräftiger Rückenwind, Sonnenschein und gute Straße. Durch die flache Landschaft zu fahren war einfach ein Vergnügen ohne große Anstrengung.
Für wen die Nestvorlage im Teich ist, weiß ich nicht. Ich sah sie häufiger.
Die Gleisarbeiter haben für alles vorgesorgt. Wenn es nur nicht zu sehr schüttelt.

 

Jun 112012
 

55. Reisetag

2394 km

 

Etwas Wehmut kommt auf. Ich verlasse die Rocky Mountains. Noch intensiver die Natur zu sehen, zu erleben ist kaum möglich. War es der Höhepunkt meiner Reise oder nur einer?

In den Wilderness Hostels hatte ich am Abend Gesellschaft. Diese werde ich in der nächsten Zeit nicht haben. Ich verlasse eine beliebte Reiseroute.

Die Wolken hingen am Morgen tief unter den Bergen. Ich fuhr los. Es regnet viel an diesem Tag. Die Straße folgte dem Athabaska River, der weit über die Ufer getreten war. So verließ ich die Rocky Mountains. Immer mal ein Blick zurückwerfend.
Viele Seen waren zu sehen, manche hatten trotz des Regens ihre Türkisfarbe erhalten.

80 km weiter in Hilton ist die Einfahrtsstraße wie fast in jeder Stadt. Motels, Tankstellen und große Verkaufshäuser. Der Stadtkern ist schwer auszumachen. Ich übernachtete in einem Motel.
In Hilton gibt es ein Bibergebiet. Da wollte ich hin, um den Biber zu sehen.
Der Biber wurde mir vor ca. 30 Jahren als Namenstier zugeordnet.
Er baut seine Burg in einem Teich aus einem Haufen Holz und Lehm. Der Eingang ist unter Wasser. Der Teich ist von ihm gestaut, damit der Eingang immer unter Wasser bleibt. Als Vegetarier ist er gerne Blätter von jungen Bäumen. Aktiv ist er am Abend und Morgen.
Abends besuchte ich ihn. Er war anwesend.

Am Morgen schien die Sonne. Ein Blick zurück zeigte noch einmal am Horizont die Schneeberge. Der Wind stand günstig. Ich kam auf dem breiten Highway mit wenig Verkehr schnell voran. Die Landschaft war abwechslungsarm: Wald.
Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage nur Regen vorausgesagt. Ich entschied, bei der nächsten Möglichkeit die Bahn zur Weiterfahrt nach Osten zu nehmen. Im Ort Edson angekommen fand ich auch den Bahnhof. Alles war zu, Güterwagen standen herum. Neben dem Bahnhof war eine Tagesstätte, da fragte ich nach. Die Hilfsbereitschaft war groß. Für mich wurde telefoniert und reserviert. Der Zug kommt am Abend und wird für mich halten.

Bin noch einmal um die Ecke zum Bahnhof gegangen um zu sehen wie man an die Gleise kommt. Ein Bahnarbeiter sagte mir, er hätte noch nie einen Personenzug hier halten gesehen.

Den Nachmittag konnte ich in der Tagesstätte verbringen. Der Ort bot nichts, was ich hätte sehen mögen. Ich wurde von der Mitarbeiterin nach Hause zum Abendessen eingeladen. Die Zeit bis zur Zugankunft war interessant überbrückt.

Der Zug hielt um 20 Uhr. Mein Fahrrad kam in den Gepäckwagen. Ich nicht weit entfernt auf einen Sitz. Die Zugfahrt war von mir eingeplant gewesen, nur 200 km später in der Stadt Edmonton. Am nächsten Tag werde ich wohl 1000 km weiter im Osten ankommen, in der Provinz Saskatchewan. Mitten in der Prärie.

Die Überlandstrecken der Bahn sind in Kanada eingleisig mit Ausweichsabschnitten für den Gegenverkehr. Entsprechend häufig muss auf den Gegenzug gewartet werden. Die Güterzüge dominieren. Bis zu fünf Diesellokomotiven ziehen die kilometerlangen Waggonreihen. Container sind übereinander gestapelt. Oberleitungen gibt es nicht.

Jun 092012
 

53. Reisetag

2234 km

20.078 Höhenmeter

 

Manchmal nicht breiter als einen Meter. Vom Gebüsch, Geröll und umgekippten Bäumen fast verdeckt. Ich hätte herüberspringen können. Tief hatte sich der Maligne River in den Kalkstein eingegraben. Mit Wasserfällen und gurgelnden Schlünden. Der feine immerwährende Nebel ließ an den Hängen farbenprächtige Moose und Flechten wachsen.
Der Canyon ist für die Touristen erschlossen. Mit Brücken und abgesicherten Wegen.

Von Jasper kommend durchwanderte ich ihn am Nachmittag. Der Fluss führte viel Wasser. Zusätzlich mündeten reißende unterirdische Bäche aus dem Kalkgebirge nach dem starken Regen der letzten Tage in den Canyon.

Auf 1750 m Höhe liegt der Maligne Lake. Türkisgrün, umgeben von Wald, Schneebergen und Gletschern. Hier entspringt der Maligne River. 40 km weiter unten im Tal hat er sich seinen Canyon geschaffen.

Ich wurde von Christina, die ich häufig auf der Nordroute durch die Nationalparks getroffen hatte, am nächsten Morgen mit dem Auto mitgenommen. Muss so bei unbeständigem Wetter keine 80 km Fahrrad fahren und 600 Höhenmeter bewältigen. Wanderwege entlang des Sees gibt es kaum. Wir waren mit einem Schiff auf dem langgezogenen See unterwegs gewesen, um das andere Ende mit den Schnee- und Gletscherbergen näher sehen zu können.

Seit Tagen bewege ich mich im riesigen Nationalparkgebiet. Habe bereits eine Strecke von 500 km darin zurückgelegt. Mit Ausnahme des Ortes Jasper und einigen Touristenunterkünften zersiedeln keine privaten Häuser die Landschaft. Es gibt weder Holzwirtschaft, Steinbrüche noch Staudämme. Nur die Straße durchquert das Gebiet.

Der Nachmittag endete mit Regen. Am Abend schlich ein Schwarzbär um das Hostel. Ich stand an der Tür (innen), da lief er in 1 m Entfernung vorbei. Beide waren erschrocken. Das Plumsklo ist außerhalb, der Schlafraum auch. Beim Gang durch die dunkle Nacht sah ich viele Schatten, die sich im Schein der Taschenlampe bewegten. Es war ein wenig unheimlich.

Die Weiterfahrt am Samstag verschob ich wegen des Dauerregens. Ich fuhr in die 10 km entfernte Stadt Jasper ins Hallenbad mit Dusche und Sauna. Eine Waschalternative zu den Wilderness Hostels ohne fließend Wasser.
Um den letzten Blog ins Internet zu stellen musste ich in einer Bäckerei drei Stück Kuchen essen. Pro Stück erhielt ich 20 Minuten Zugang zum Internet.

 

Jun 072012
 

51. Reisetag

2205 km

 

Es ist eine Traumstraße. Sie führte mich über 230 km durch das Panorama einer beeindruckenden Bergwelt. Bei Sonnenschein und Regen.

Verkehr und Menschenmassen hielten sich in Grenzen. Es war Nebensaison.
Meine Unterkunft fand ich in vier Wilderness Hostels, ohne fließend Wasser und Strom.
Hatte am Abend meist Gesellschaft. Freute mich aber auch am Morgen wieder alleine weiterzuradeln.
Der in vielen Beschreibungen angekündigte heftige NW-Wind blies zu meinem Glück nur mäßig und behinderte mich kaum.

Kaum verließ ich am Sonntag Lake Louise lief vor mir ein Schwarzbär über die Straße und graste am Hang. Ich wechselte die Straßenseite. Diesmal war es nicht so unheimlich, die Straße war breit und der Wald nicht so düster und dicht.
Umgeben von schroffen Schneebergen ging es bergauf. Für diese Traumstraße nehme ich mir Zeit. Die Tagesetappe bis zum nächsten Hostel war nur 30 km. Mittags angekommen packte ich mein Bärenspräy ein und suchte einen Pfad zum Wandern. Ich mag beim Waldspaziergang die Moose und Flechten, die neben dem Weg den Boden bedeckten. Es ist wie über einen weichen Teppich zu laufen. Leider endete dieser Weg im Schnee bei ca. 2000 m Höhe. Ein anderer Versuch führte mich am Creek entlang zu einem Wasserfall. Ein plötzliches Donnern erschreckte mich. Am Hang gegenüber ging ein Schneerutsch ins Tal.

Die Hostel füllte sich. Ich traf Christina von Hostel Castle Mountain wieder. Sie lud mich zum Essen ein. Eine gute Alternative zum Instanttütenessen.
Am Abend konnten wir die Sauna anheizen. Hinterher fühlte ich mich gut erfrischt. Besonders nach dem Eintauchen in das eiskalten Flusswasser (siehe Flussbild mit Schnee).

In der Küche gibt es einen Wasserhahn aus einem Behälter mit Trinkwasser. Der Abfluss befindet sich abseits in einer Spüle. Am Morgen wurde hier gefrühstückt, die Zähne geputzt, eine Gruppe junger Japanerinnen schminkte sich für die Wanderung.

Bei Sonnenschein machte ich mich nach dem Frühstück auf den Weg. Die Kulisse war umwerfend. Die gigantischen Schneeberge rundherum, einige Seen im Tal sind noch zugefroren. Der erste Pass mit 2060 m ist problemlos mit langsamer Steigung erreicht. Eine Abzweigung führte zum Viewpoint über den Lake Peyto. Er liegt türkisblau unten im Tal, umgeben von schroffen Bergen und Wald. Die Schönheit der Sicht kann ich nicht in Worte fassen.

Nach dem Pass ging es rasant bergab. Das Hostel Rampert Creek erreichte ich am Nachmittag. Trank mit dem Herbergsvater einen Kaffee. Mit dem Rad ankommen macht immer einen guten Eindruck. Er gab mir wichtige Hinweise für meine Weiterfahrt.

Die ersten Moskitos tauchten auf. Am Abend konnte ich mich wieder durch einen Saunagang und kurzem Eintauchen im Fluss erfrischen.

Der heftige nächtliche Regen hörte nach dem Frühstück am Dienstag auf. Über Tag schaffte es die Sonne sich ab und zu gegen die Wolken durchzusetzten. Das Bergpanorama ist gigantisch wie am Tag vorher. Beim Pass ging es steil auf 2050 m hoch und im stetigen auf und ab wieder herunter. Die Straße führte an den berühmten Columbia Icefields vorbei. Dort konnte man mit speziellen Bussen über den Gletscher fahren. Der Gletscher hatte sich im Laufe der Jahrzehnte bereits weit zurückgezogen und vor sich ein breites Geröllfeld hinterlassen. Ich war einfach vorbeigeradelt. Hatte vorher deutlich eindrucksvollere Landschaften gesehen. Eine Herde Bighornschafe lief an einem Steilhang entlang. Beeindruckend, wie die Tiere dort Halt finden.

Einsetzender Regen beendete den Tag und setzte sich am Mittwoch fort.
Die Schneeberge zogen ihren Wolkenvorhang zu. Überall aus dem Wald floss das Wasser. Die Flüsse überschwemmten die Randbereiche. Sie hatten ihre klare Türkisfarbe gegen trübe Ockerfarbe getauscht. Es war ein Radeltag mit begrenzter Sicht und viel Regen. Meine Regensachen hielten mich trocken.
Am Nachmittag kam ich im Hostel Athabaska Fall an. Im großen Aufenthaltsraum brannte ein Kaminfeuer. Es war gemütlich warm.

Das Bergwetter wechselte schnell. Am Donnerstag schien die Sonne. Die Schneeberge zeigten sich wieder. Ein leichter Schleier von Neuschnee zog sich am Hang herunter.

Neben der Straße floss der angeschwollene Athabaska Fluss. Die Wassermassen stürzen sich in die Tiefe eines Canyons. Er ist der längste Fluss Kanadas, der Richtung Norden in den Arktischen Ozean fließt.
Ein Schwarzbär kreuzt die Straße. Es ist nicht mehr aufregend für mich.

Die Sicht auf die Schneeberge begleitete mich bis nach Jasper. Hier endet der Icefields Parkway.