555. Reisetag
16.874 km
Ein Land, das wieder zum Leben erwacht. Auf einem Wüstenerwartungsland wurden in den letzten 50 Jahren über zwei Millionen Bäume gepflanzt. Eine grüne Landschaft ist entstanden: das Experimentfeld von Auroville.
Auroville ist die Vision einer universellen Stadt, in der Menschen jenseits aller Bekenntnisse, politischer Gesinnung und nationaler Herkunft zusammenleben.
In den 68iger Jahren – in Deutschland eine unruhige Zeit mit vielen Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit, weniger Aufrüstung und gegen die Notstandsgesetzgebung – legten hier jugendliche Vertreter aus 124 Ländern und den indischen Bundesstaaten eine Handvoll Heimaterde in eine Urne, um die Menschliche Einheit zu symbolisieren. Die ersten Pioniere siedelten sich an. Heute leben bereits 2100 Menschen hier, davon ca. 50 Prozent Ausländer, verteilt in 100 kleinen Siedlungen auf dem großen Gelände. Viele Projekte wurden ins Leben gerufen. Schulen, Bio-Farmen, Handwerksbetriebe, erneuerbare Energie, Kunsthandwerk und vieles mehr (siehe unter www.auroville.org).
An diesem interessanten Ort weilen Andrea und ich acht Tage. Andrea hat sich tapfer ein Fahrrad geliehen und wir erfahren das weitläufige Gelände. Wegen der schlechten Karte und des Mangels an Wegweiser ist es nicht immer einfach unsere Ziele zu finden. Meist durchfahren wir eine Wald- oder Buschlandschaft mit wenig Bebauung. Auch 50 Jahre nach der Gründung von Auroville denkt man, die Stadt befindet sich erst im Entstehen. Die nicht sehr vielen Gebäude sind im guten Zustand und einem städteplanerischen Konzept der ersten Stunde untergeordnet.
Im Zentrum steht das Matrimandir in einer Parklandschaft, ein kugelförmiger Bau mit einem inneren Raum der Stille, ein Ort, der der Universellen Mutter geweiht ist: Ein Konzept, das der Hindukultur vertraut, für den Westler jedoch schwer verständlich ist.
Wir unterhalten uns in den Werkstätten, der Mensa oder im Kaffee mit einigen Aurovillianern. Für ihre Arbeit erhalten sie einen Einheitslohn von ca. 80 Euro im Monat bei freiem Wohnen, Essen und Gesundheitsvorsorge. Das ist für indische Verhältnisse normal, für Westliche setzt es jedoch einen erheblichen Idealismus voraus. Rentner (sofern sie ausreichende Rente bekommen), haben es einfacher. Sie arbeiten sozusagen als Voluntäre – wie übrigens sehr viele junge Menschen, die hier eine Zeit lang leben. Ihr Lohn ist die sinnvolle Beschäftigung in einer Gemeinschaft. Klingt alles gut, Probleme gibt es aber genügend.
Betriebe können auch privat geführt werden, die Gebäude und das Land gehören der Gemeinschaft und werden von ihr gepachtet. Vom Gewinn muss 1/3 abgeführt werden. Die einfachen Arbeiten werden von angestellten Indern aus den Dörfern durchgeführt. Die Bedingungen sind also doch nicht für alle gleich.
Trotzdem sehe ich mich bereits auch hier arbeiten. Es ist das erste Mal auf meiner Tour, das ich mir vorstellen kann, an diesen Ort für längere Zeit zurückzukommen. Noch möchte ich unterwegs sein – mal sehen, wie es in einem Jahr aussieht.
Wir machen einen Ausflug zu einem nahen Aufforstungsprojekt der Gruppe Sadhana (sadhana-forest.org), in dem nur Voluntäre arbeiten. Sie leben unter einfachsten Bedingungen in selbstgebauten Bambushütten. Alkohol, Zigaretten und sonstige Drogen sind wie überall in Auroville nicht erlaubt.
Eine „Weltwärts“-Freiwillige erklärt uns die täglichen Arbeitsabläufe. In dem einst ariden Gebiet wurden zunächst kleine und große Staubecken gegraben, um das Regenwasser der Monsunzeit am Abfluss zu hindern. Bei genügend Feuchtigkeit haben die gepflanzten Bäume eine gute Überlebensrate. Mit dieser Methode ist bereits der Grundwasserspiegel der Gegend um sechs Meter gestiegen.
Die trocken-gefallenen Brunnen der Menschen, die im Umfeld leben, haben wieder Wasser. Ein bewundernswertes Projekt, mit deutlich sichtbarem Erfolg.
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