627 km
Die Nacht ist unruhig. Unsere Nachbarinnen lärmen ab 4 Uhr morgens rücksichtslos um dann gegen 6 Uhr aufzubrechen. Wir rollen zur Fähre um auf die andere Seite des tief ins Land eindringenden Fjords überzusetzten. In Wassernähe zunächst noch flach beginnt bald die Bergfahrt. Zum Glück bleiben wir einige Zeit in der Höhe und genießen den Weitblick. Grüne Berghügel, wenig Autos, Ruhe und eine friedliche Stimmung stellen sich ein. Nach 70 km und 800 Höhenmeter erreichen wir den Jugendherbergscampingplatz in Ahipara.
Und wieder das Phänomen: Fast nur junge deutsche „Work and Traveller“. Es ist gerade „in“ nach dem Abi nach Neuseeland zu reisen.
Nach einem Ruhetag lassen wir uns mitsamt Rädern in einem Ausflugsbus zum nördlichsten Zipfel Neuseelands – dem Cape Reinga – transportieren. Die tasmanische See und der Pazifik prallen am Cap aufeinander. Die eine türkisfarben, der andere dunkelblau.
Für die Maori ist Cape Reinga der Ort, an dem die Seelen der Verstorbenen ihre Reise in die spirituelle Heimat antreten. Das Gebiet ist für sie „tapu“ also heilig und es gelten bestimmte Verhaltensregeln. Es darf weder gegessen noch getrunken werden.
Wie an allen besonderen Orten in Neuseeland zieht es Touristen in Strömen an – sofern eine Straße dahin führt.
Von der Höhe blicken wir auf die zusammenprallenden Meere und reihen uns ein im Gang zum Leuchtturm. In früheren Zeiten warnte er die Schiffe vor dieser Klippe, jetzt ist er vor allem Fotomotiv.
Die Nacht verbringen wir auf einem einfachen Campingplatz mit kalter Dusche und Wasser zum Abkochen in einer idyllischen Bucht in Nordcapnähe. Anfangs fast alleine, zum Abend überraschenderweise mit Campervans gefüllt.
Der Morgen beginnt mit einer Bergfahrt auf Schotterstraße, anschließend auf Teerstraße hoch und runter. Mühsame 500 Höhenmeter legen wir auf den ersten 20 km zurück. Der Strand kündigt sich mit der riesigen Sanddüne „Te Paki“ an. Der Parkplatz davor ist bereits voll von Autos, Auf Surfbrettern sausen die Besucher die Dünenhänge hinunter.
Wir fahren bzw. schieben unser Rad an ihnen vorbei durch ein flaches Flussbett. Es wird ruhig, keine Menschen mehr. Wir genießen die Sicht auf die Düne und den blauen Himmel. Unser Ziel ist der Strand, der die nächsten 70 km unsere Straße ist. Wir wagen die Fahrt entlang der sogenannten 90-Miles-Beach, die eigentlich 90 Kilometer Beach heißen müsste. Länger ist dieser Sandstrand nicht, der bei Ebbe hart genug ist um ihn befahren zu können, mit Rad oder Allradantrieb. So ganz einfach wird es dann doch an einigen Stellen nicht. Wir können nur im nassen Sand fahren, der manchmal schmiert und auch nachgibt. 20 km ist unsere Etappe an diesem Tag für die wir fast 3 Stunden benötigen. Der Wind weht heftig vom Meer her. Die Nacht verbringen wir auf einem abseits gelegenen einfachsten Campingplatz.
Zu unserem erstaunen sind wir nicht die einzigen Gäste, bereits fünf kleine Zelte sind aufgestellt. Sie gehören Wanderern, meist Alleinreisend, auf einem langen Weg. 3000 km führt der Te Araroa Trail von Nord nach Süd durch Neuseeland. 4 bis 6 Monate werden sie unterwegs sein.
Auf unserer Strandroute tauchen ihre Gestalten immer mal wieder aus dem Nichts auf. Trailgänger – was sie auf diesem langen Weg suchen ist Ihnen manchmal selbst nicht klar. Es ist eine Auszeit, eine Wendezeit zu etwas neuem in ihrem Leben oder einfach nur eine Herausforderung.
Der Beginn ist besonders hart. Sie sind häufig untrainiert, haben zu schweres Gepäck und die Füße sind bereits am zweiten Tag wund. Ich bin froh mit dem Fahrrad an ihnen vorbeizufahren. Das Rad trägt das Gepäck, die Füße schmerzen nicht.
Am nächsten Tag legen wir 30 km zurück, dann kommt die Flut, der weiche Sand ist nicht befahrbar. Der Campingplatz am Zielort bietet mit Küche und warmer Dusche bereits Luxus. Am Nachmittag treffen die Wanderer vom Vortag ein. Wir sitzen zusammen. Als Radfahrer sind wir akzeptiert.
Fast drei Tage sind wir auf dem Küstenstreifen unterwegs. Das Meer braust auf der einen Seite, der Sandstreifen unter uns ist der Weg. Auf der anderen Seite die Dünenlandschaft mit unterschiedlichen Formationen. Einsam, windig, schön.
Wir verlassen den Strand und sind wieder auf belebter Straße unterwegs. Das Fahren ist einfacher, etwas Wesentliches, das Naturerlebnis fehlt uns aber.
Unsere Vorräte sind aufgebraucht, wir fahren in die Stadt Kataia um diese aufzufüllen und zu übernachten.