16.351 km
Am Südzipfel der Ostküste blasen kräftige Winde. Die Landschaft ist gespickt mit Windrädern. Diese stehen konzentriert auf einem kleinen Areal. Auch mir kommen die Winde zu Hilfe und treiben mich gut voran.
Der grüne Süden wird bald durch eine trockene steppenartige Landschaft abgelöst. Die Gebirgskette der Westghats fängt den Regen ab und lässt nur wenig davon gen Osten durch.
Anstatt Kokospalmen wachsen die weniger anspruchsvollen Palmyrapalmen. Die Blätter der Dornenbüsche sind das einzige Grün in der Landschaft. Dörfer gibt es wenige. Mir kommt der erste Reiseradler in Indien entgegen – ein Chinesen, der in Neuseeland lebt. Er wirkt eine wenig apathisch.
Nach 95 km erreiche ich die Küstenstadt Trivandur. Ein Ort mit einem riesigen alten Tempel, dem damit verbundenen geschäftlichen Rummel und vielen Unterkünften. Die Tempelanlage ist durch eine hohe Mauer umgeben. An den Toren stehen die hohen mit vielen Figuren versehenen Türme, an denen die Schuhe ausgezogen werden und die Herren ihren Oberkörper freimachen. Hinter der Mauer liegt das eigentliche Tempelgebäude, nach außen hin ebenfalls geschlossen. Darin zentral das Hauptheiligtum, darum herum verschlungene Gänge mit Götterschreinen, alles öllampendunkel. Die Decken sind mit hunderten verzierten steinernen Säulen gestützt. Um Ordnung in die vielen Pilger zu bringen werden diese durch abgesteckte Gänge geleitet. Die Gänge und Pilgerschlangen sind sehr lang. Ich bin immer wieder beeindruckt von der tiefen Gläubigkeit und Ernsthaftigkeit, mit der die Menschen ihre Rituale verrichten.
Der Tempelvorplatz liegt direkt am Meer, daneben herrscht reges Strand- und Badeleben. Ein Tempelelefant kommt mir entgegen. Der erste „freie“ Elefant den ich sehe, ohne die beengenden Fußketten kann er unterwegs sein.
Die Weiterfahrt am nächsten Tag erfolgt durch die trockene Dornenlandschaft. Die Windräder sind verschwunden, und leider auch der für mich günstige Wind. Diesmal bläst er mir entgegen. Die Dornenlandschaft wird bald aufgelockert durch riesige Salinenfelder. Ein Verdampfungsbecken liegt neben dem anderen. Das Salz wird daraus mit Schiebern an den Beckenrand gezogen. Männer füllen es in Schalen, die wiederum Frauen wegtragen.
Wie an fast jedem Tag herrscht schönes Wetter (aus europäischer Herbstsicht). Ich bin schwitzend unterwegs und finde es alles andere als schön. Kein Schattenbaum an Straßenrand, das Trinkwasser in der Flasche ist badewasserheiß und der Wind weht immer noch entgegen. Ich würde diesen Tag gerne gegen einem verregneten Herbsttag tauschen.
Die Salinenlandschaft verschwindet. Die Dornenlandschaft bleibt. Die Dornenbüsche werden geschlagen und die dünnen Stämme zu Holzmeiler geschichtet. Diese qualmen vor sich hin oder die Holzkohle daraus wird gerade geerntet. Die Dornen wachsen nach und eine Generation später erfolgt die Wiederholung.
Manchmal werden auch die Wurzeln gerodet und das Land urbar gemacht. Die wenigen Felder liegen zur Zeit brach und warten (wohl) auf Regen.
In einem kleinen Ort finde ich am Nachmittag eine Unterkunft. Bin froh darüber, denn die Hitze macht mir zu schaffen. Störend wirkt die permanente Lautsprecherbeschallung vom frühen Morgen bis in den späten Abend.
Hitzeverkatert setzte ich am nächsten Morgen die Fahrt fort. Ich bin sehr schnell angestrengt und habe etwas Kopf weh. Die Monotonie der Dornenlandschaft bleibt bei kilometerlanger gerader Straße, die Hitze auch. Nach 75 km erreiche ich den größeren Ort Aruppukkottai. Zur Erholung bleibe ich einen weiteren Tag – im Bett. Mein Essen lasse ich mir mittags bringen. In Bananenblätter eingewickelter Reis und Curry, darum herum Zeitungspapier, zugebunden mit Bindfäden. Leider fehlte mir aber der richtige Appetit auf das indische Essen.
Nach dem Ruhetag bin ich noch nicht ganz erholt, fahre aber weiter. Der Keim für einen wohl wieder hartnäckigen Tibethusten scheint in mir zu stecken.
Die Sonne ist mir hold, sie ist unter einer Wolkendecke fasst den ganzen Tag verborgen. Die Weiterfahrt hat diesmal eine andere Tücke. Die ausgesuchte Nebenstraße existiert nicht. Muss zwar nicht auf eine Hauptstraße ausweichen, fahre dafür einen großen Umweg. Nach dem Weg fragen ist Glücksache. Der Kopf wird immer anmutig bejahend geschwungen, auch wenn nichts verstanden wird. Mit den Armen wird die Richtung angedeutet. Zum Glück kann ich sortieren was ungefähr stimmen kann. Es geht mir darum, die richtige Abfahrt auf eine Seitenstraße zu finden.
Die Dornenlandschaft lichtet sich im Binnenland. Ich passiere einige Zuckerrohrfelder. Wenn genügend Wasser vorhanden ist, wird sogar Reis angebaut.
Madurai, die zweitgrößte Stadt Tamil Nadu erreiche ich am Nachmittag. Andrea ist bereits am Vortag hier eingetroffen. Sie hatte noch einen Abstecher nach Kovalam und einen Ausflug in einen Löwenpark gemacht.