15.785 km
Am Morgen legt unser Hausboot an. Wir trinken einen letzten Kaffee in unserer Lieblingscafébar, dann trennen sich unsere Wege. Eigentlich wollten wir mit der Fähre unseren Weg fortsetzen. Da Nebensaison ist und auf der Strecke eine neue Brücke gebaut wird, fährt sie nicht. Das nächste Ziel ist der Ashram von Amma, der Umarmerin.
Trotz unklarer Straßenverhältnisse versuche ich auf schmalen Straßen entlang der Küste meinen Weg zu finden. Die Straße endet an einem Bootsanleger. Ein Boot bringt mich über einen breiten Wasserarm, der die Backwaters mit dem Meer verbindet. Auf der anderen Seite geht es weiter. Neben der Straße werden Fischernetze geflickt. Kokosnussfasern werden in vielen Hinterhöfen zu Seilen versponnen.
Der Komplex des Ashrams von Amma taucht auf. Die rosafarbigen Hochhäuser wirken wie Fremdkörper an dem mit Palmen bewachsenen Küstenstreifen.
Die Anmeldung erledigte ich vorher Online. Nach Registrierung bekomme ich ein Zimmer zugewiesen. Im 12. Stock, einfach eingerichtet, mit Fan, Dusche und wunderbarer Sicht auf das Meer. Auf Ökologie wird geachtet. Es gibt gereinigtes Trinkwasser. WC, Abwasch und Dusche erfolgt mit weniger sauberem Wasser.
Etwas 2-3000 Menschen leben in verschiedenen Häusern in einem eher abgeschlossenen Umfeld, davon etwa 500 Westler. Kurzzeit-, Langzeit- und Dauerbewohner.
Ich versuche unvoreingenommen das Neue auf mich einwirken zu lassen. Normalerweise fühle ich mich nicht wohl in Menschenansammlungen und meide sie. Stelle aber bereits am Abend beim Mantrasingen (als stiller Zuhörer) in der großen Halle mit ca. 2000 Menschen fest: wenn ich die Augen schließe, wird es ruhig in mir. Die vielen Menschen um mich herum nehme ich nicht störend war. Das bleibt auch die weiteren Tage so.
Am nächsten Vormittag findet ein Darshan („heiliges“ Zusammentreffen) mit Amma statt. Es werden über etwas zu laute Lautsprecher zunächst 1000 Mantras gesungen. Das dauert einige Zeit. Danach erzählt Amma etwas über Gott und die Welt. Am Nachmittag werden Kurzzeitgäste umarmt, so auch Andrea und ich. An weiteren Tagen beim Darshan erfolgen Ammas Marathonsitzungen, vom Vormittag bis in den nächsten Morgen umarmt sie. Ihre Besucher sind vor allem Inder, die teilweise von weither angereist sind.
Amma hat mit ihren 61 Jahren neben oder durch ihre millionenfachen Umarmungen vieles geschaffen. Zehntausende Häuser, Nahrung, medizinische Versorgung, Ausbildung und Notfallhilfe für die Armen, eine Universität mit Stipendien, Krankenhäuser in unterschiedlichen Städten und Ländern u.a. (weiteres www.amritapuri.org). Sie ist weltweit unterwegs, am kommenden Wochenende beginnt ihre neue Europatournee. Vor einigen Jahren umarmte sie bereits in Bonn die Menschen, nicht weit entfernt von meiner Wohnung. Damals war mir die Warteschlange zu lang.
Amma ist für viele Menschen der Guru und wird (manchmal übertrieben) angebetet. Sie steht im Mittelpunkt, wirkt aber nicht überheblich.
Die ständigen Bewohner und Gäste im Ashram kommen mir nicht überdreht vor (mit wenigen Ausnahmen). Einige verbringen ihren Lebensabend hier.
Alles ist erstaunlich gut organisiert und es klappt. Freiwillige Dienste werden von den Gästen erwartet. (Die Korrekturleserin: Thomas musste sich klar ein bisschen ausruhen, hat in der zwischenzeit den blog geschrieben …) Das Essen ist vegetarisch und schmeckt. Neben den täglichen Gemüsecurrymahlzeiten gibt es zur Auswahl auch westliches Essen. Alles zu niedrigsten Preisen. (oberallerbester milkshake der welt für 25 cent)
Wir bleiben vier Tage, treffen interessante Menschen.
Es sind neue Eindrücke, die ich hier erlebe. Ein Mittel- oder Langzeitbewohner möchte ich nicht werden. Es wäre ein Leben mit zu vielen Regeln. Die Lebensfreude würde bei Enthaltsamkeit, Mantrasingen und Meditieren nicht so recht aufkommen. Ich habe aber Respekt vor den Menschen, die ein solches Leben leben.
Und ich als mitreisende im bus oder zug thomas hinterher hätte mir nie vorstellen können, dass ich jemals im ashram lande … und dazu gut versorgt in der hauseigenen wundversorgungsstation.