404. Reisetag
Nach einem spartanischen Frühstück im Hotel beginne ich meinen ersten Rundgang durch die Stadt. Ich bleibe ein paar Tage. Mein Besichtigungsprogramm gehe ich langsam an. Lasse mich eher treiben, als geplant vorzugehen.
Durch eine Seitengasse des Basars – da führt meist der Weg als erstes hin – gelange ich in die Vakil-Moschee. Um einen großen rechteckigen Innenhof mit Wasserbecken führt ein Arkadengang zu dem großem mit Säulenreihen gegliederten Gebetsraum. Der Haupteingang zum Gebetsraum ist mit bunten Blumengirlanden gefliest. Beim Verlassen der Moschee durch das Hauptportal blicken zwei Stummelminaretts auf mich herunter.
Nach diesem Schlenker setze ich meinen Gang durch den Bazar fort. Erst Teppiche, dann Stoffe und nochmals Stoffe, in allen Farben, dazwischen einige Gewürzstände. Schon bald werde ich von einem Studenten angesprochen. Er begleitet mich, ohne zu fragen, ob es mir recht ist und beginnt eine kleine Führung. Alleine unterwegs zu sein wäre mir lieber. Da ich bisher so viele freundliche und hilfsbereite Iraner getroffen habe, möchte ich ihn nicht einfach wegschicken. Langsam gehen, mich auch schon einmal in einer Moschee hinsetzten lässt ihn nicht von mir abrücken.
Wir besuchen eine alte Koranschule neben dem Bazar. Im Innenhof stehen Orangenbäume. In den kleinen seitlichen Räumen wird studiert.
Eine der vielen Bazargassen mündet direkt in den Innenhof des berühmten Mausoleums von Shah Cheraq. Um diesen betreten zu können muss ich erst einmal meine Kamera abgeben. Frauen ist der Zutritt ohne Chador verwehrt, kann aber ausgeliehen werden.
In diesem Komplex werden in zwei Mausoleen die Brüder des 8. Imams Reza (er starb 818 als Märtyrer an einem anderen Ort) verehrt. Der Innenraum der Mausoleen ist mit Verspiegelungen ausgestattet. Das künstliche Licht eines Leuchters erzeugt, gebrochen durch die Spiegelelemente, eine Fülle von Licht wie ich es selten gesehen habe. Das gibt den Räumen eine besondere Atmosphäre.
Die Gräber der Heiligen liegen hinter versilberten Gitterstäben und Plastikscheiben, unterbrochen durch Schlitze, damit die Gläubigen Geldscheine hindurchstecken können. Was sie auch stets reichlich tun. Der Grabraum ist jeden Tag gefüllt mit Scheinen, wie mir mein Begleiter mitteilt.
Vor dem Grab verrichten die Gläubigen ihre Gebete, mit Fingern, Lippen oder der Stirn streichen sie über die Stäbe, und hoffen, dass etwas vom Charisma des Heiligen in sie übergehen möge.
Stellwände trennen die Frauenabteilung ab. Sie haben einen eigenen Eingangs- und Betbereich.
Auf dem großen Innenhof herrscht ein buntes Treiben. Es wird picknick gemacht oder einfach im Schatten gesessen.
Ich geselle mich dazu und schaue. Nach einiger Zeit wird es meinem Begleiter zu langweilig und er geht.
Die Mittagshitze kommt, ich ziehe mich zurück. Am späten Nachmittag bin ich wieder unterwegs. Möchte mir für den nächsten Tag ein anderes Hotel suchen. Schon bald habe ich einen neuen, diesmal deutschsprechenden Begleiter. Er versuchte in Deutschland Asyl zu beantragen, was ihm nicht gelungen ist. Dafür verbrachte er längere Zeit in Abschiebungshaft.
Das im Reiseführer beschriebene Hotel in Basarnähe kann ich nicht finden oder es gibt es nicht mehr. Dafür ein anderes. Am nächsten Tag wechsele ich die Unterkunft. Viel mehr mache ich nicht. Am Abend begebe ich mich nach draußen. Das „öffentliche Leben“ scheint erst mit der Dunkelheit zu beginnen. An der Hauptstraße sind die Bürgersteige mit Straßenverkäufern dicht belegt, dazwischen ein Strom von Menschen. Auch auf dem Basar scheint das Geschäft erst richtig in Gang zu kommen. Es sind die Frauen, die sich mit neunen Stoffen eindecken. Männerartikel gibt’s nichts im Angebot.
Die Dichter Hafiz (1320–1389) und Sa’di (1184–1292) haben Shiraz zur Stadt der Liebenden, Rosen und Nachtigallen gemacht. Hafiz’ Gedichte des „Diwan“ sprechen von Anbetung und Liebe, von Wein und Genuss. Sie sind eine Ode an die Freuden des Daseins. Das hat zu Feindschaften unter der strengen islamischen Geistlichkeit beigetragen. In den ersten Jahren nach der Revolution von 1979 durften Hafis’ Werke nicht neu aufgelegt werden. Doch in seinen Versen findet sich die poetische Seele des persischen Volkes wieder. Es war nicht möglich, Hafis dem persischen Volk „wegzunehmen“. Auch im Werk des alternden und vergeblich um eine junge Frau werbenden Goethes, der „West-östlicher Diwan“ kann ein Einfluss von Hafiz erkannt werden. Am nächsten Vormittag besuche ich die beiden jeweils in einem großen Garten liegenden Gräber. Am Grab von Sa’di unterhalte ich mich angenehm und lange mit einem verliebten Paar (18/23 Jahre). Seine Eltern wissen über die Beziehung Bescheid, ihre nicht. Demnächst wird er dort vorsprechen. Sie treffen sich heimlich.
Nicht nur die Dichter, auch die vielen Gärten und Parkanlagen haben Shiraz unter dem blumigen Namen „Shahr-e gol o bolbol“ (Stadt der Rosen und Nachtigallen) bekannt gemacht. In den Anlagen stehen kleine Paläste, die sich die damaligen Herrscher und einflussreichen Familien im 19. Jh. haben bauen lassen. Direkt am Fuße der Berge gelegen, verfügte Shiraz schon im Mittelalter über ein gut ausgebautes Netz von Qanaten (unterirdische Wasserkanäle). Trotz sommerlicher Hitze und trockenem Umland gibt es keinen Wassermangel. Ich besuche zwei der berühmten Gärten. Verweile dort auf einer schattigen Bank. Es ist nicht einmal heiß. Erst beim Verlassen schlägt die Mittagshitze wieder zu.
Und Shiraz assoziiert man mit der berühmten Rebensorte. Nur darf sie leider in ihrer Heimat nicht zu dem eigentlichen Zwecke vergoren werden.