Am Samstag verlasse ich mein kleines Apartment in der Altstadt. Ich lebte in einem beschaulichen Viertel mit vielen Holzhäusern, etwas abseits von den großen Touristenströmen, nahe am städtischen Leben.
Meine neue Unterkunft liegt in Beyoglu auf der andere Seite des Goldenen Horns.
Die Galatabrücke überspannt diesen. Die Brücke ist irgendetwas zwischen Aussichtboulevard, Verkehrsader und Basar. Und das alles auf zwei Stockwerken, oben stehen die Angler dicht an dicht, unten entspannt man in Cafés und Restaurants. Auf der einen Seite werden Fischbrötchen vom Boot aus verkauft, auf der anderen Seite der Brücke liegt der Fischmarkt. Die Fische werden immer wieder mit Wasser übergossen, damit sie schön glänzen. Ich kann es kaum glauben – fast jeder Stand bietet auch den norwegischen Zuchtlachs an.
Nach dem Passieren der Brücke geht es steil nach oben Richtung Galatatower. Selbst beim Schieben muss ich Pausen einlegen. Ganz in der Nähe des Towers liegt das neues Zimmer mit Küchenbenutzung. Ich buchte es als der Besuchstermin von Marie feststand. Oben von der Dachterrasse des vielstöckigen Hauses habe ich einen weiten Blick über den Bosporus und das Goldene Horn.
Ich wohne jetzt direkt neben der Touristenmeile. Die Menschen drängeln sich den Berg hoch. Je höher man kommt, desto höher steigen die Preise. Die Kastanienverkäufer, die typisch für Istanbul sind, verlangen fast das doppelte. Da alle die gleichen Preise haben würde in Deutschland das Kartellamt einschreiten. Ein Becher Granatapfelsaft kostet anstatt 1 Lira jetzt 3 Lira. Selbst das Pinkeln kostet den zweifachen Preis gegenüber der Altstadt.
Die Istiklal Caddesi ist das pulsierende Herz des Istanbuler Bezirks Beyoğlu. Studenten, Familien, Touristen aus den Golfstaaten mit verschleierten Frauen und schicke junge Türkinnen flanieren in der breiten Fußgängerzone.
Es sind alle wieder vertreten, die ganze Schar der Kettenläden. Von MacDonald bis zu Zara. Dazwischen jede Menge Cafés und Restaurants. In der Mitte des Boulevard fährt ganz gemächlich eine kleine Bimmelbahn auf und ab.
Auf dem Taksimplatz und an weiteren Stellen postiert jeweils eine kleine Einheit der Polizei mit Schutzschilden und Gewehren im Anschlag
Auch des Nachts schieben sich die Menschenmassen durch die Einkaufsstraße und ihre Seitengassen. Wie man sagt muss man in diesem Bezirk nicht schlafen gehen. Es gibt genügend Bars, die die ganze Nacht über geöffnet haben.
Und jetzt haben viele ein Problem. Die Regierung Tayyip Erdoğan und seine religiös-konservativen AKP hat seit September ein neues Gesetz erlassen, das den Alkoholverkauf einschränkt. Das neue Gesetz sieht vor, dass Einzelhändler in der Türkei von zehn Uhr abends bis sechs Uhr früh keinen Alkohol mehr verkaufen dürfen. Ein generelles Verkaufsverbot gilt im Umkreis von hundert Metern um Schulen und Moscheen, was in einer Stadt mit der Moscheendichte von Istanbul bedeutet, dass wohl nur wenige Läden und Supermärkte überhaupt verschont bleiben. Vor allem betrifft es die vielen kleinen „Bakall“ Kioske. Restaurants und Bars behalten zwar ihre alten Lizenzen, neue Genehmigungen werden aber nur noch unter strengen Auflagen erteilt. Jede Werbung, auch Schilder in den Läden für geistige Getränke sind künftig verboten. Ab Januar wird wohl streng kontrolliert.
Der Koran untersagt den Gläubigen den Alkoholgenuss. Völlig eindeutig ist die Schrift in diesem Punkt jedoch nicht. In Sure 5 heißt es: „Berauschender Trank, Glücksspiel, Opfersteine und Lospfeile sind nur ein Greuel vom Werk des Satans. So meidet ihn, auf daß es euch wohl ergehen möge!“ Die Sure 47 wiederum, die sehr früh entstand, spricht in ihrer Beschreibung des Paradieses auch von „Bächen mit Wein, der köstlich ist für diejenigen, die (davon) trinken“.
In der Nacht weckt mich eine Alarmanlage die gefühlt stundenlang lärmt. Der nächste Tag ist verregnet. Ich schlafe länger und mache mich langsam auf den Weg zum Flughafen. Laufe ein Stück durch die Altstadt danach nehme ich die Straßenbahn und Metro zum Flughafen. Wie schön, Marie ist jetzt bei mir.