226. Reisetag
8345 km
Die Dardanellen verbinden das Mittelmeer mit dem Marmarameer. An der schmalsten Stelle sind sie nur 1500 m breit. Seit Jahrtausend ist die schmale Halbinsel Gallipoli, die das Nordwestufer der Dardanellen bildet, der Schlüssel zu Istanbul. Jede Flotte, die hier durchbrach, hatte gute Aussichten, die Hauptstadt der südosteuropäischen Welt zu erobern.
Der persische König Xerxes I überquerte die Wasserstraße 481 v. Chr., so wie Alexander der Große 150 Jahre später. In byzantinischer Zeit bildeten die Dardanellen den ersten Verteidigungsring Istanbuls, doch 1402 gerieten sie unter Kontrolle des osmanischen Sultans. 1453 wurde dann von Fatih Sultan Mehmet Konstantinopel erobert.
In der Absicht, die osmanische Hauptstadt unter Kontrolle zu bringen organisierte Churchill im ersten Weltkrieg einen Angriff auf die Dardanellen. Die britischen Empire- und französische Truppen wurden von der türkischen Armee geschlagen. Der damalige türkische Offizier, der die Verteidigung Gallipolis leitete war Mustafa Kemal – der künftige Atatürk.
Der südliche Teil dieser Halbinsel, das Schlachtgebiet, ist ein historischen Nationalpark.
Viele Denkmäler und nach Nationen getrennte Friedhöfe erinnern an die Gallipolis-Schlachten mit 130.000 Toten. Die Toten werden als Helden bezeichnet. In der Realität waren sie zwangsverpflichtet und mussten ihr Leben opfern. Kaum einer der Toten würde aus freien Willen einen unbekannten, wahrscheinlich sogar sympathischen Menschen erschießen wollen.
Der Besuch der vielen Totenstätten ist für mich bedrückend. Unvorstellbar was hier geschehen ist. Und gelernt wurde daraus nichts.
Zu bestimmten Zeiten ist die Gegend von patriotischen Pilgern überlaufen. Nicht nur die Türken (2007 sollen es 2 Mio. gewesen sein), auch Australier und Neuseeländer besuchen die Soldatenfriedhöfe und Denkmäler. Für diese drei Nationen war es eine der „bedeutendsten“ (eher grausamsten) Schlachten gewesen.
Die geschichtlich strategische Bedeutung und die Schlachten auf der Halbinsel Gallipoli um die Dardanellen sind mir nicht bekannt gewesen.
Jetzt aber zum Beginn meines Tages. Dieser fängt diesmal mit einer Suppe an. Das scheint hier ein gängiges Frühstück zu sein. Es gibt nur Suppe (Hühner- oder Linsen-) mit Brot im vollen Lokal. Erinnert mich ein wenig an China, nur die Nudelsuppe ist dort besser.
Entlang der Dardanellenküste geht es südwärts, erst auf einer autobahnähnlichen, dann auf einer normalen Landstraße mit kaum Verkehr. Komme gut voran, der Wind bläst kräftig von hinten. Es folgt ein leichter Nieselregen.
An einem Parkplatz mache ich eine kleine Pause. Viel Abfall liegt herum. Ein Hund bellt mich an (nicht sehr aggressiv). Dann sehe ich die Bescherung. Die Hündin hat hier 12 Welpen zur Welt gebracht. Verspielte kleine niedliche Hunde. Sie kommen auf mich zu, knabbern an meinen Schuhen und balgen sich. Habe leider kein Fressen für sie dabei. Werde sogar etwas traurig. Sie haben das harte Leben der Straßenhunde vor sich.
Am frühen Nachmittag erreiche ich die Fährstation über die Dardanellen. Da die Landschaft sehr schön ist, fahre ich noch nicht zum Festland hinüber sondern weiter Richtung Südspitze. Zunächst direkt am Ufer entlang. Die Berghänge sind mit Kiefern und Pinien bewachsen. Bald führt mich die kleine Straße ein Tal hoch ins Binnenland. Treffe wieder auf viele Schaf- und Ziegenhirten. Wir unterhalten uns mit wenigen Worten.
Im Dorf Alcitepe finde ich eine Pension. Zunächst ist keiner da. Frage einen Nachbarn, der telefoniert, geht ins offene Haus und zeigt mit ein Zimmer. Es ist kalt, der Strom ist ausgeschaltet. Gehe erst einmal im Dorf etwas essen, dann wieder zurück. Nach einiger Zeit kommt der Hauswirt, der schaltet Strom und Heißwasser an. Er stellt mir ein kleines elektrisches Heizöfchen ins Zimmer. Es bleibt lange kalt.
Durch Pinien und Kiefernwälder durchfahre ich auch am nächsten Tag die hügelige Halbinsel. Die schöne Landschaft kann die bedrückende Vorstellung was hier passiert ist nicht aufheben. Die vielen Denkmäler und Friedhöfe lassen in mir keine Fröhlichkeit aufkommen. Am späten Nachmittag gelange ich wieder an die Fährstation und setze nach Canakkale über.
Beim Zurückschauen sehe ich am Felshang die türkischen Worte „Dur Yolcu“, was in etwa heißt „Reisender halt inne“.