Jul 192012
 

 92. Reisetag

5293 km

 

Die Hälfte meiner Reisezeit ist überschritten. Bin bereits weiter vorgedrungen als geplant. Eventuell reicht die Zeit vor dem Winter noch für einen Abstecher nach Neufundland.

Unterwegssein heißt auch immer Abschied nehmen. Von Personen oder besonders schönen Plätzen. Beides traf auf die letzte Unterkunft zu.

Mittags erreichte ich die Fähre an der Südspitze der Insel Manitulin. Die „Chi-Cheemaun“ (Indianisch: Großes Kanu) setzt in einer 1 ¾ Stundenfahrt über zur Stadt Tobermory auf der Bruce Peninsula. Auf der Fähre war ich ungewohnter Weise wieder mit vielen Menschen konfrontiert. Es gab viel zu schauen. Schöne Tattoos auf breitem Rücken. Jede Menge große und kleine Hunde. Über dem Wasser bildete sich eine dichte Nebelsuppe, die sich zum Land hin auflöste.

Nach der Ankunft mein Spätmittag- und Abendessen eingekauft: Brot, Käse, Joghurt und Pampelmusensaft. Hatte alles direkt am Hafen auf einer Bank verzehrt. Erlebte eine stürmische Nacht auf dem nahen Campingplatz, das angekündigte Gewitter blieb aber aus.

Am nächster Tag – wie ein Geschenk – wieder Rückenwind. Der Himmel war teilweise bewölkt. Die Sonne schien nicht ganz so heiß.
Die Landschaft hatte sich etwas geändert. Kalkgesteine waren vorherrschend – schroff an der Küste, abgerundete Rücken im Binnenland. Aber auch Sandstrände luden zum Baden ein.
Mittags erfrischte ich mich im Lake Huron. Das Wasser war sehr kalt.
Bei einer Rast ein erstaunlich gutes Essen bekommen. Hatte eine schöne Unterhaltung mit zwei Amerikanern. Sie radelten in entgegengesetzte Richtung.
Einen Campingplatz wieder verlassen. Der Übernachtungspreis sollte fast 50 Dollar betragen – auf einem nicht einmal so schönen Platz. Für 10 Dollar mehr ein Motel in der Nähe gefunden. Der Nachbar spendierte mir noch ein Bier. Da ich durstig war schmeckte es vorzüglich.

Im Zimmer gab es keine Kaffeemaschine. Das Frühstück nahm ich am nächsten Tag erstmals im nahen Subways ein. Sandwich mit Omlett und Käse. Mein Morgenmüsli wäre nahrhafter und wohlschmeckender gewesen, auch ohne Kaffee.
Das Wahrzeichen der Stadt Wiarton ist der Wiarton-Willie, ein Groundhog (Murmeltier) mit steinernem Denkmal. Alles abgekupfert aus den USA – siehe Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Im Gegensatz zu anderen Orten gab es Häuser aus der Gründerzeit kurz nach 1900.

Fuhr zunächst einen 40 km Bogen auf der Straße entlang der Küste. Der Wind blies mir kräftig entgegen. Wo bleibt denn der „immer wehende“ Westwind?
Die Seite direkt am Wasser war durch Häuser mit Baumbestand belegt, dann kam die Straße. Deshalb vom Küstenabschnitt nicht allzu viel gesehen. In der etwas größeren Stadt Owen Sound, ebenfalls für kanadische Verhältnisse eine schöne Stadt, machte ich Mittagspause. Danach bin ich auf einem Trail abseits von der Hauptstraße weitergefahren. Anfangs war es schön, der schmale Weg führte durch Felder ohne allzu viel Steigung. Er erinnerte mich an den Trans Canada Trail. Das änderte sich aber. Es wurde eine staubige Straße mit sehr vielen Steigungen. Die Kalkrücken waren bewaldet. Es gab viele Wiesen. Auf den Feldern wurde bereits das Getreide geerntet.
Ermüdet vom Tag kam ich am späten Nachmittag im Ort Meaford an.

Jul 152012
 

89. Reisetag

5019 km

 

Auf ebener Straße zu radeln, welch angenehmes Fortbewegen am Morgen. Entlang am flussartigen Verbindungsarm zwischen dem Lake Superior und Lake Huron. Die Landschaft hatte sich geändert. Seit dem Verlassen der Prärie tauchten die ersten Wiesen und Getreidefelder (meist Hafer) auf. Ich sah viele Pferde auf den Weiden, auch Schafe, die Kühe mussten sich eher mit dem Stall abfinden.

Der Wechsel im Umfeld war ein Genuss für meine Augen. Wie doch frisch gemähte Wiesen oder Heurollen darauf meine freudige Beachtung fanden. Der Wald und die abgerundeten Felsrücken waren nicht ganz verschwunden. Immer wieder durchquerten sie die Landschaft, sie bestimmten sie aber nicht mehr. Die Steigungen hielten sich damit sehr in Grenzen.

Nach dem verlassen einer ruhigen Nebenstraße gab es viel Verkehr auf dem Trans Canada Highway. Der Grenzübergang zur USA in Sault Ste. Marie mag die Ursache dafür gewesen sein. Der Seitenstreifen war oft sehr schmal. Wenn zwei der langen Lastwagen an mir in beiden Richtungen vorbeirasten wechselte ich oftmals auf den sandigen Rand. Der Blick in den Rückspiegel war wichtig. Nach ca. 250 km konnte ich vor der Stadt Espanola den stark befahrenen Highway verlassen und in Richtung Manitoulin Island fahren, die größte Insel in einem Süßwassersee. Felsen und Wald prägten wieder die Landschaft mit vielen eingeschlossenen Seen und natürlich die Küstenlinie zum Lake Huran.

Unterkunft hatte ich meist auf Campingplätzen. Mal ohne Mücken, war ein Genuss. Mal versuchte ich die Mücken auszutricksen. Bin früh in mein mückensicheres Zelt gegangen. Verlor aber trotzdem. Woher die ganzen Stiche kamen ist mir ein Rätsel geblieben. Eine Nacht im Zelt hat den Temperaturvorteil gegenüber einem Motelzimmer. Über Tag war es sehr heiß, die Nachtkühle drang direkt ins Zelt ein.

Neben dem Zeltplatz schaute ich einem Baseballtraining zu. Ist schon ein merkwürdiges Spiel von erwachsenen Menschen.

Neben High-Tec-Solaranlagen auf Feldern tauchten an der Straße Hinweisschilder auf Kutschen auf. Auf einem Feld sah ich Frauen mit zylinderartiger Kopfbedeckung arbeiten. Sie trugen lange einheitliche Kleider. Etwas später kam mir eine Pferdekutsche entgegen. Auf einem Parkplatz sah ich eine Kutsche stehen mit zwei Männern davor. Ich hielt an und unterhielt mich mit beiden. Es war ein interessantes Gespräch und ich konnte einiges über ihr Leben erfahren. In Ontario gibt es einige Amische Siedlungen. Die religiösen Gemeinschaften leben zurückgezogen von den technischen Errungenschaften. Kein Strom, kein Traktor zur Feldarbeit, kein Auto, ihr Fortbewegungsmittel ist die Kutsche. Zum Zurücklegen weiter Strecken kann der Bus benutzt werden. Einer der Beiden fuhr mit dem Greyhound Bus in die nächste Stadt. Ihren Lebensunterhalt erwirtschaften sie vorwiegend durch Landwirtschaft und handwerkliche Tätigkeiten.

Auf meiner Fahrt über die Insel Manitoulin kam ich in der Stadt Little Current mit zwei Frauen ins Gespräch. Sie regten einen kleinen Umweg an zu einem Fahrradladen auf dem Land. Dort konnte ich mein Zelt aufbauen. Fünf Leute lebten in einer Art Wohngemeinschaft zusammen. Sie bewirtschaften einen größeren Garten. Einer hat die Fahrradwerkstatt unter sich, die anderen arbeiten außerhalb. Gebrauchswasser gabt es aus dem See, Trinkwasser wird aus der Stadt mitgebracht. Hier blieb ich einen weiteren Tag. Badete im See und genoss das Umfeld.

Jul 102012
 

84. Reisetag

4680 km

 

Die morgendliche Fahrt begann im Nebel. Die Sonne setzte sich bald durch. Die Morgenfrische und -beleuchtung nährte mein Fernweh. Erstaunlich wie die Stimmung die immer gleiche Landschaft unterschiedlich wahrnehmen lässt.

Um etwas Abwechslung zu bekommen konzentrierte ich mich auf Inselfotographie.

Der nächste Ort war 240 km entfernt. Hatte vorgesorgt, den vorher gab es nichts einzukaufen. Nach 90 km einen schönen Campingplatz am Lake Superior gefunden. Zelt direkt am See aufgebaut. Es war ein selten schöner Platz. Hier blieb ich einen weiteren Tag. Der Wind erfrischte über Tag und hielt am Abend die Mücken fern.

Meine Tasche mit Lebensmittel konnte ich beim Zeltnachbarn im Auto verstauen. (Der letzte Bär wurde vor drei Tagen gesehen.) Nach dieser Kontaktnahme wurde ich zu einem abendlichen kalten Bier eingeladen. Die Nachbarn waren ein amerikanisches pensioniertes Lehrerehepaar. Sie stellten sehr interessierte Fragen zu Europa und Deutschland. Wer sind in Deutschland neben Habermas und Gadamer weitere wichtige Denker. Ich musste passen und bat mir eine Nacht Bedenkzeit. Kam nicht weiter. Wer hilft mir?

Der nächste Tag begann gemütlich. Ausschlafen, mit Blick auf dem See meinen Kaffee trinken und einfach nichts tun. Auf meine Lebensmittel musste ich aufpassen. Hungrige Nager warteten nur auf eine Unaufmerksamkeit. Am Nachmittag mit den Nachbarn einen Ausflug zu einem steil ins Wasser abfallenden Felsen gemacht. Es ist ein heiliger Platz der Indianer gewesen an dem ihre Träume und Gedanken mit roter Ockerfarbe auf die Felsen gemalt wurden.
Den Abend wieder in angeregter Gesellschaft bei den Nachbarn verbracht.

Die Fahrt am nächsten Tag war ereignislos. Selbst Inseln waren weniger zu sehen. Es folgte der letzte Zeltabend am Lake Superior, diesmal mit viel Mücken. Sie vergraulten mir am nächsten Morgen ein gemütliches Frühstücken. Danach ging es in die 80 km entfernte größere Stadt Sault Ste. Marie. Sie liegt an der Grenze zur USA und am Übergang vom Lake Superior zum Lake Huron. Konnte meine notwendigen Einkäufe machen. Sie war nicht ganz so hässlich wie viele andere Orte. Einen weiteren Tag wollte ich hier nicht verbringen.

 

 

Jul 062012
 

 

 80. Reisetag

4407 km

30.018 Höhenmeter

 

… Wald, Wald in jeder Höhenlage. Der boreale (boreas = Kälte = griechischer Gott des winterlichen Nordwinds) Wald mit seinen vorwiegend Nadel-, aber auch Birken und Pappelbäumen, entsteht auf nährstoffarmen Böden mit kurzer Vegetationsperiode. Er bedeckt auf dem kanadischen Schild riesige Flächen. Die Bäume sind kleinwüchsig.
Seit über 1000 km fahre ich durch dieses Gebiet.

Die morgendliche Frische nach dem Start ging am Mittwoch bald verloren. Hatte schlecht geschlafen. Die ganze Zeit fuhr ich gegen den Wind. Es gab verdammt viele Berge. Wofür quäle ich mich? Das macht keinen Spaß. Nach Hause möchte ich auch nicht. Stelle mir ein schönes Plätzchen unter Palmen auf einer Südseeinsel vor. Da möchte ich jetzt sein. Die Realität war aber: nur Wald um mich herum. Manchmal ein See, der munterte mich auch nicht auf.

Am frühen Nachmittag abseits in einem Provinz Park einen schönen Campingplatz gefunden. Hatte eine ruhige Ecke halb unter Bäumen direkt am Ufer eines etwas zugewachsenen kleinen Sees. Viele Kaninchen liefen herum – sonst nie eins gesehen. Zum großen Lake Superior nur fünf Minuten Fußweg. Saß dort lange auf einem Stein und beobachtete das Ufer.
Viele ausgebleichte Baumstämme waren angeschwemmt mit teilweise bizarren Formen.
Eine Familie kam an den Strand. Der kleine Junge lief in einem unbeobachteten Moment mit all seinen Sachen ins Wasser. An die Folgen konnte er noch nicht denken.

Ein Buddhist hätte es hier schwer sich den Mücken gegenüber friedlich zu verhalten. Gegen Abend kommen sie scharenweise. Mückenspray hilft nicht genügend. Im Qualm eines Feuers zu stehen ist auch nicht angenehm. Das Zelt ließ sich als übersichtlicher Raum problemlos mückenfrei halten.

Hatte besser geschlafen und bin trotz gemütlichem Frühstück um 8 Uhr losgekommen. Der lang vermisste Westwind blies mir in den Rücken. Gleich am Morgen gab es eine 15 km Strecke fast ohne Steigung. Habe keine Erinnerung mehr an ein meine letzte ebene Straße. Die Stimmung war besser. Die Mittagshitze machte mir zu schaffen. Werde am nächsten Tag noch früher aufstehen.
Eine Goldmine passte nicht ganz in diese Landschaft und wird ihr auch nicht gut tun. Es gibt mehrere in der Region.

Am Nachmittag nach 100 km den nächsten kleinen Ort White River erreicht. Dieser Ort hat wieder eine Attraktion. Hier ist die Geburtsstätte von Winnie the Pooh. Der kleine Bär wurde 1914 an den englischen Soldat Harry Colebourn verkauft. Er nannte ihn Winnipeg, daraus wurde bald Winnie. Colebourn wurde nach Frankreich geschickt. Der Bär kam in den Londoner Zoo. A.A. Milne schrieb seine Geschichte. Christopher fügte den Zusatz the Pooh hinzu.
Jedes Jahr gibt es ein „Winnies Hometown Festival“. Das ganze Jahr über kann der Stoff-Winnie erworben werden.

Hätte kostenlos auf der Gemeindewiese zelten können, mit Dusche in einer Tankstelle. Es laufen aber Bären nachts im Ort herum. Der ungestörten Nachtruhe wegen übernachte ich in einem Motel.

Am nächsten Morgen zusammen mit dem ersten Sonnenstrahl die Straße betreten. Mein Schatten fuhr eine Zeitlang vor mir, nach einer Kurve konnte ich ihn neben mich bringen. Wenn ich es geschafft hatte so früh loszukommen genoss ich die Morgenfahrt. War kraftvoll, die Bergfahrt strengte nicht an. Die Beleuchtung war wunderschön. An manchen Seen hielt ich länger an und schaute einfach. Der melodische Ruf eines Seetauchers (loon) erklang.

Um 11.30 Uhr erreichte ich bereits den nächsten 100 km entfernten Ort Wawa. Das Tagespensum war erfüllt. Die größte Wildgansskulptur Kanadas ist die Attraktion des Ortes.