Jul 312012
 

105. Reisetag

6221 km

 

Nach einer weiteren unruhigen Nacht im Jail-Hostel verließ ich Ottawa auf einem Radweg über 20 km direkt am Ufer des Ottawa-Flusses bzw. Sees entlang. Danach ging es weiter meist auf Nebenstraßen, 10 km stark befahrener Highway waren leider nicht zu vermeiden. Am späten Nachmittag machte ich an einem Zeltplatz halt. Mit 48 Dollar für eine Übernachtung war er mir jedoch zu teuer. So baute ich mein Zelt etwas später direkt am Wasser auf eine Wiese auf. Die Waschgelegenheit hatte ich direkt vor Ort.

Seit ich nicht mehr durch einsame Gegenden radle habe ich kein Trinkwasserproblem mehr. Ich lasse meine Flaschen auffüllen, wenn ich Leute vor ihrem Haus sehe.

Es war eine Wohltat im Zelt zu schlafen. Die Temperatur stimmte und es war ruhig. Im Gegensatz zur Disco Jugendherberge in Ottawa.
Gemütlich mein Kaffee am Morgen getrunken. Das ist immer wieder schön und frisch in den Tag gestartet. Die wenig befahrene Straße führte meist am Ufer entlang. In der ersten Reihe am Wasser standen wieder die Häuser, viele davon ansehnliche Bauten. Mit kurzen Unterbrechungen zieht sich diese Häuserreihe bis nach Montreal über 70 km hin.
Bänke für meine Pause fand ich meist vor Kirchen.

Über Tag war es weiterhin sehr warm. Der nächtliche Regenguss vor 6 Tagen hatte sich nicht wiederholt. Der Wind stand wie gehabt nicht auf meiner Seite. Er blies eher heftiger aus dem Osten und raubte mir ca. 25 % meiner Fahrenergie. Der Fahrspaß war deutlich reduziert.

Am frühen Nachmittag ca. 25 km vor meinem eigentlichen Ziel sprach mich ein Radfahrer an. Ich könnte bei ihm im Haus übernachten. Hatte es angenommen, obwohl am nächsten Morgen um 5 Uhr aufstehen angesagt war. Er musste früh zur Arbeit.

Wegen angestauter Tageshitze hatte ich schlecht geschlafen. Die Nachtkühle macht sich im Zimmer erst zum frühen Morgen hin bemerkbar. Wie wunderbar doch eine Zeltnacht gewesen wäre. Um 5.30 bei angenehmer Frische und langsam in die Stadt Montreal geradelt – erst am Ufer und dann 20 km entlang an einem Kanal, vorbei an alten Fabrikanlagen, zur zentral gelegenen Jugendherberge.

Montréal liegt auf einer Insel, der größten in einem vom Zusammenfluss des St. Lawrence und des Ottawa Flusses gebildeten Archipel.
Wegen Stromschnellen war es den Schiffen aus Übersee nicht möglich gewesen den St. Lawrence Strom weiter aufwärts zu fahren.
Die Güter mussten von den Schiffen und aus dem Landesinneren umgeladen, gelagert und bewacht werden.
So kam es, dass sich die bereits 1642 gegründete Missionsstation Ville-Marie schnell zu einer Basis für Entdeckungsreisende und Pelzhändler entwickelte. Ville-Marie wurde bald in Montréal umbenannt. Missionare zogen von hier aus weiterhin übers Land.

Ich weiß nicht ob das mit ein Grund ist. Seit ich in der Provinz Quebec angekommen war hat fast jede zweite Stadt ein Saint bzw. Sainte davor und viele Straßennamen ebenfalls. Habe meine Zweifel dass bei dieser Inflation von Heiligen jeder seinen Titel verdient hatte.

Im Vieux-Montréal gibt es eine große Ansammlung historischer Gebäude. Oft stehen diese direkt neben den modernen Bauten.
Im Zentrum ist eine Underground City entstanden. Ein fast 30 Kilometer langes Netzwerk aus wettergeschützten Passagen, die Metro, Ladengeschäfte, Theater, Hotels, Büro- und Wohnhäuser miteinander verbinden. Im Winter braucht der Montrealer keinen Fuß ins Freie zu setzen und im Sommer sorgen Klimaanlagen für angenehme Temperaturen.

Radfahrer haben ein gut ausgebautes Wegenetz. Leihräder stehen an vielen Stationen zur Verfügung. Diese werden auch viel benutzt. Ich war auf den Hausberg geradelt um einen Überblick zu bekommen. Sobald ich den Innenstadtbereich mit den Hochhäusern verlassen hatte wechselten diese zu schönen Einfamilienhäusern – meist aus Stein und jedes Haus war anders. Häuserblocks wie bei uns gibt es natürlich auch. Auf einem Markt waren die Gemüsesorten schön aufgereiht, sonst aber wenig los. Da denke ich immer an die abwechslungsreichen asiatischen Märkte mit dem pulsierenden Leben.

Die ethnische Vielfalt der Einwanderer, die mehr als ein Fünftel der Einwohnerschaft (britisch und französisch) von ca. drei Millionen ausmachen, zeigt sich im kulturellen Leben der Stadt. Meine Essmöglichkeiten waren hier immens erweitert.

 

 

Jul 272012
 

101. Reisetag

5931 km

 

Der erste Ort, der Ende des 18. Jahrhunderts gegründet wurde, war nicht Ottawa, sondern Hull, das auf der Québecer Seite des Ottawa Flusses liegt. Damals flößten seine Bewohner die ersten Baumstämme den Fluss hinab. Nur wenig später, mit Ausbruch des Krieges von 1812, machte die Nähe des für die Vereinigten Staaten strategisch so wichtigen St. Lawrence die Briten nervös. Deshalb wurde als sichere Verbindung zwischen Upper und Lower Canada von 1826 bis 1832 der 200 km lange Rideau-Kanal gebaut, der Kingston, die Basis der Royal Navy am Lake Ontario, mit Hull verband. Der Konstrukteur dieses technischen Wunderwerks mit seinem ausgeklügelten System von Schleusen war Colonel By. Die von ihm gegründete Stadt Bytown (daraus wurde Ottawa) lag beiderseits des Kanals und war schon bald deutlich größer als Hull. Als es an der Zeit war, eine Hauptstadt für die neue United Province of Canada zu wählen, waren die Einwohner von Toronto und Québec entsetzt über Königin Victorias scheinbar willkürliche Wahl von Ottawa. Der Ort war aber vor den Angriffen der Amerikaner geschützt, zum anderen bewahrte ihn seine Lage an der Grenze zwischen Ontario und Québec vor den Auswirkungen der anglofranzösischen Rivalitäten.

Das Zentrum der Stadt bildet der Parliament Hill. Die Parlamentsgebäude sind neogotische Bauten, die fast einem Schloss ähneln. Vor dem Eingang brennt eine ewige Flamme zum Gedenken an die erste Versammlung im Parlament. Der Uniformzirkus für die Touristen inkl. Dudelsackspieler dreht seine täglichen Runden.

Unterhalb des Parlaments mündet der Rideau-Kanal mit einer 8-stufigen Schleusentreppe in den Ottawa Fluss. Ein Anziehungspunkt für Touristen, dazu gehöre natürlich auch ich. Von einer Brücke aus kann der Schleusenbetrieb beobachtet werden. In Handarbeit werden die Tore geöffnet und geschlossen Der Kanal wird heute von den Freizeitschiffern benutzt. Entlang des Kanals sind Rad- und Wanderwege.

Die Gegend um die alte Halle des Byward Marktes ist ein weiterer Treffpunkt für die Touristen. Samstags verkaufen die Bauern hier ihr Obst, Gemüse, Fleisch, Käse, Blumen und Brot. In der Halle sind vor allem Ess- und Touristenartikelstände untergebracht. Rundherum gibt es viele Restaurants, Shops, Cafes und Kneipen.
Eine Neustadt mit den verspiegelten Hochhäusern der Banken, Hotels, Shopping Malls und Fussgängerzone fehlt natürlich auch nicht.

Fast mittendrin in den Sehenswürdigkeiten liegt die Jugendherberge. Das ist sehr angenehm. Mein Rad bleibt abgeschlossen im Gefängniskeller.

Ich genoss es draußen im Straßenkaffee zu sitzen. Beobachtete die Menschen. Sie kommen aus allen Kontinenten – viele schöne und charakteristische Typen, aber auch Menschen, denen ich ein schweres Schicksal ansehe.
Ich konnte aussuchen wo und was ich essen wollte. Diese Möglichkeit hatte ich schon lange nicht mehr.
Zu Kaufen gab es alles in den vielen Geschäften. Ich benötige außer eine weitere Straßenkarte und einen neuen Zeltsack nichts. Fast schade.

Jeden Abend gibt es auf dem Parliament Hill eine Lightshow. Ist schon fantastisch, wie dort Natur und Geschichte Kanadas am Parlamentsgebäude dargestellt wird.
Draußen vor meiner Zelle im Gefängnishof hämmerte die Musik, Punkbands spielten in der 2. Nacht. Da half auch kein Ohropax mehr. Nach Beschwerde um 2 Uhr morgens wird mir eine Übernachtung erstattet. Heute ist nur Disco angesagt. Auch nicht ganz leise.

Jul 252012
 

99. Reisetag

5931 km

 

 

In der Nacht war es soweit. Blitz, Donner und heftige Regenschauer gingen auf das dürstende Land nieder. Ein kurzes Aufatmen.

Bei wunderbar frischer Luft machte ich mich auf den Weg. Der Wind blies mir in bekannter Weise entgegen, hatte aber nur wenig Einfluss auf meine Stimmung. 80 km fuhr ich durch das schon oft beschriebene Bergland. Mein zweites Frühstück fiel aus, da die drei auf meiner Karte eingezeichneten Orte nur aus ein paar Häusern bestanden.

Für die Ewigkeit sind wohl die alten LKWs abgestellt – noch mit Blick auf die Straße.
Wer vermisst sein Paar Stiefel?

Der Ottawa-Fluss bildet die Grenze zwischen der Provinz Ontario und Quebec, manchmal gestaut und/oder als langer See. An beiden Ufern hat er eine weite flache Landschaft geschaffen auf der intensiv Landwirtschaft betrieben wird. Nach steiler Abfahrt fuhr ich durch die Ebene. Die Trockenheit zeigte sich hier in verdorrten Getreidefeldern und Wiesen.
Die Sonnenblumen schauten noch relativ frisch in die Nachmittagssonne.

Übernachtet hatte ich auf der Quebec-Seite in einem etwas heruntergekommenen Hotel. Im Gastraum gab es viele Spielautomaten an denen (wohl) die Menschen aus Ontario ihr Geld verlieren. Viele Gesetzte sind in Quebec liberaler, die Sprache ist französisch.

Der nächste Tag begann mit einer wundervollen Fahrt auf einer alten Eisenbahntrasse. Konsequent wird jeder Motorverkehr durch Absperrungen ferngehalten. Es folgten 60 km Straße und kurz vor Ottawa ein Uferradweg. Dieser leitete mich problemlos und schön zu meiner Unterkunft. Ich musste ins Gefängnis. Die Jugendherberge ist das alte Gefängnis. Ich schlief auf Level 6 in Zelle 6, Einzelzelle, etwas spartanisch, keine Fenster, Gitter zum Flur hin, aber keine Einsicht möglich, inklusive Frühstück: Kaffee, optisch katzentrockenfutterähnliches Müsli und Bagel. Einen Vorteil der Bagel gegenüber Brötchen konnte ich nicht feststellen. Durch das Loch in der Mitte trat bei mir ein zusätzlicher Schmiereffekt von Marmelade und Honig ein.

Interessanter aber ist, ich bin jetzt in Ottawa angekommen – Hauptstadt von Kanada.

Jul 232012
 

97. Reisetag

5680 km

 

Und sie gibt es doch. Die letzten 5 Städte und Orte an den großen Seen hatten Stil. Der Stadtinnenbereich bestand aus den ein- bis zweistöckigen roten Ziegelgebäuden um die Wende 1900. Die Feuerwache war wichtig und es wurde entsprechend Wert auf ihr Äußeres gelegt. Für das Auge eine Wohltat. Die alten Häuser eigneten sich glücklicherweise nicht für die Supermärkte und Imbissketten, die vielerorts den Innenstadtbereich bestimmen. Merkwürdig, vor mehr als 100 Jahren waren solche Bauten möglich. Danach gab es nur noch die Zweckbauten der Neuzeit. Um den alten Kern gruppieren sich die heutigen typischen Wohnhäuser, von einfach bis prunkvoll. Meist aus Holz.

Ich hatte es genossen erstmalig in diesem Jahr in einem Straßenkaffee zu sitzen und zu schauen, abends sogar in einer Bar (ein sonst nach außen abgedunkelter Raum) mein Bier  draußen zu trinken. Eine Altherrenband spielte dazu die Rockmusik aus ihrer Jugendzeit – etwas schräg und laut. Es war trotzdem ein Genuss.

Der Tag startete mit einer 35 km langen Fahrt auf einer alten Eisenbahnstrecke entlang der Küste, ohne Steigung und bei etwas kühlerem Wetter. Nach einer Kaffeepause in einem der oben beschriebenen Orte ging es weiter auf dem Highway mit viel Verkehr zur Wasaga-Beach. Wieder eine Sensation, hier gibt es mit 14 km den längsten Sandstrand an einem Süßwassersee. Für mich war es eine endlose Ansammlung von Ferienhäusern. Ab und zu mit einen Zugang zum Strand für die nicht so wohlhabenden Besucher.

Mein Zelt baute ich am Abend auf einem Campingplatz etwas abseits der Küste auf.
Es gibt zwar keine Bären hier, aber den Namensvetter „Waschbär“. Dieser nachtaktive Räuber macht sich gerne über das Essen von Reisenden her, die es nicht sicher verstauen können. Mehrere Radreisende berichteten davon. Bin also gewarnt und fand jeweils eine Lösung (Waschraum, leeren Mülleimer, sonstige Verschläge, Auto). Viele dieser Tiere beenden ihr Leben nachts auf der Straße. Über Tag fuhr ich oft an ihnen vorbei.
War an diesem Abend sehr müde, hatte nicht einmal Lust etwas zu essen. Verkroch mich früh ins Zelt und schlief fest bis mich in den frühesten Morgenstunden die Geräusche eines Steinbrechers (so kam es mir vor) weckten. Wie doch die Nachtstille als Geräuschverstärker wirken kann. Der Schlaf kam aber bald zurück.

Vor dem Zelt am Morgen zu frühstücken ist für mich ein Genuss. Musste mich aufraffen um loszukommen. Die Mittagshitze wartet nicht auf mich.
Auch für kanadische Verhältnisse ist dieser Sommer sehr heiß. Wiesen sind vertrocknet. Der Wald brennt in manchen Gegenden. Weiß gar nicht mehr wann es zum letzten Mal geregnet hat.

Die Strecke weiter entlang der Küste wurde mir so schön beschrieben. Ich startete am Morgen in diese Richtung. Die Ferienhaussiedlungen nahmen kein Ende. Vom See sah ich wenig. So bog ich ins Binnenland der Halbinsel ab. Es ging bergauf und -ab durch Buschland mit wenig Wald und Felder.
An einem versumpften Binnensee (als Vogelparadies auf meiner Karte gekennzeichnet) machte ich halt. Außer dem Sumpfgebiet und einem müden Schwan gab es wenig zu sehen. Dieser Abstecher führte mich durch Zufall auf einen Trail (wieder alte Eisenbahnstrecke), der mich meinem Ziel 20 km näher brachte. Die letzten 30 km legte ich auf den Highway zurück und erreichte am späten Nachmittag die Stadt Orillia am Lake Simcoe. Neben den beschriebenen schönen alten Häusern standen im Innenbereich eiserne bunte Sessel. Jede Stadt benötigt etwas Besonderes.
Im Winestore gibt es keinen Wein zu kaufen. Die Leute bringen Obstsaft oder ähnliches. Dieser wird hier im Auftrag zu Wein vergoren und nach Fertigstellung abgeholt.

Mein Frust über den ewigen Gegenwind muss gehört worden sein. Am nächsten Morgen kam der Wind von der Seite und hinten. Das Fahren brachte mehr Spaß.

Die Strecke führte mich anfangs flach entlang an Felder und Wiesen. Bald erreichte ich wieder die Ausläufer des kanadischen Schildes mit Wäldern, Seen und natürlich Bergen. Am Abend keine Unterkunft mehr gefunden. Das in Frage kommende Motel war mit „firefighter“ ausgebucht. Konnte mein Zelt aber auf einer dazugehörigen Wiese aufbauen. Mich lange mit dem indischen Inhaber unterhalten, der alles sehr interessant fand und voller Neugierde war. Im nahem Fluss geschwommen und gewaschen. Die Washrooms der Tankstelle gegenüber genutzt. Die Tankstellen werben nicht mit ihren Öl-Produkten, sondern mit ihren neu renovierten Washrooms. Bei den oft großen Entfernungen unter anderem ein Grund diese aufzusuchen.
Am nächste Tag mit viel Schweiß tiefer in die bergige seenreiche Landschaft eingedrungen. Im kleinen Ort Maynooth ist ein Hostel. In diesem verbrachte ich die Nacht und einen weiteren Tag. Wäschewaschen, ausschlafen und etwas Ruhe war angesagt.

Das Gebiet der großen Seen hatte ich verlassen. Um Toronto mache ich einen großen nördlichen Bogen. Der Verkehr im weiten Umfeld wurde mir als extrem beschrieben.