Jun 172012
 

 

61. Reisetag

2905 km

 

Ich lebe zeitlos. Für mich ist es nicht wichtig zu wissen, dass ich unbemerkt eine Zeitzone überschritten hatte. Stelle meine Uhr aber um 1 h vor auf die Central-Time.

Der Wind blies wieder günstig am Morgen Richtung Osten. Auf dem wenig befahrenen Highway kamen mir zwei junge Schweizer entgegen. Wir unterhielten uns ein wenig. Dann fuhr jeder in seine Richtung weiter. Ich finde es noch gut alleine unterwegs zu sein. Ich glaube nicht, dass ich mich einem Langzeitradler anschließen möchte.

Die Orte auf meiner Fahrt durch die Prärie liegen ca. 40 bis 70 kam auseinander. Dazwischen vereinzelt die Gehöfte der Farmer. Von weitem schon auszumachen an einer Ansammlung von Wellblechsilos und von Bäumen umgeben. Ein sehr gepflegter, kurz gehaltener Rasen war immer vorhanden. Da Samstag war, wurde dieser gemäht.
Die Schilder vor den Farmen wiesen häufig auf eine Firma hin. Die industrielle Bewirtschaftung hat wohl bereits viele Familienbetriebe verdrängt.

Für mich bleibt die Frage offen was mit dem Gras der vielen Weiden geschieht? Milchlaster sah ich nicht. Kaum Kühe auf den Weiden und wenig große Ställe.
Der Feldanbau wurde etwas vielseitiger. Mais, Kartoffeln und Raps erweiterten das Duo von Weizen und Weide.
Der Frühling ist vorbei, wenige Flieder blühen noch.
Ein langer Güterzug bildete die Grenze zwischen Feld und Himmel.
Die Holzschindeln wie auf den Ställen und der Kirche faszinierten mich schon immer.

Am nächsten Tag fuhr ich auf einer kleinen Nebenstraße einen großen Bogen, um den stark befahrenen Highway 1 zu meiden. Es war eine sonntägliche Ruhe. Kaum ein Auto unterwegs, die Landschaft flach bei etwas Gegenwind. Der Vogel mit dem roten Fleck zirpte. Es quakten Frösche im Graben neben der Straße. Ein Stelzenvogel mit markantem Schrei tauchte auf. Vorher hatte ich ihn nie gesehen.

Die Weite der Landschaft und das gleichmäßige Fahren ließen die Gedanken in mir fließen.
Könnte ich immer weiterradeln, auch in den nächsten Jahren? Finde ich meine Ruhe und Erfüllung? Wie lange würde ich es genießen? Was möchte ich eigentlich? Eine Antwort gibt es natürlich nicht. Dankbar bin ich, dass ich gesund bin und bei Kräften.
Im Gebirge war ich beeindruckt von der Schönheit der Natur und der Gewaltigkeit der Umgebung. Das Staunen und die Anstrengung nahmen viel Raum ein. Gedanken über den Sinn meiner Reise und über mich konnten dort nicht entstehen.

Nach 80 km wurde ich vom Verkehr auf dem Highway 1 wieder eingeholt. Ich musste aufpassen. Winnipeg war bald erreicht.

Jun 152012
 

59. Reisetag

2696 km

 

Die bisherigen Erlebnisse bleiben in guter Erinnerung. Ein neuer Reiseabschnitt beginnt.

Vom Zug aus sehe ich die Prärie. Der Himmel nimmt den meisten Raum ein. Er ist blau mit einigen Kumuluswolken. Die Landschaft ist flach bis leicht hügelig. Buschland, riesige Weiden, abgeerntete und bereits eingesäte Felder mit dem ersten Grün. In den Senken sammelte sich Wasser, zu größeren und kleineren Seen oder es sind einfach Überschwemmungen.

Erdölpumpen und Gasförderanlagen standen im Westen der Prärie auf den Feldern. Kanada ist Erdölexporteur. In der Kritik ist das Öl aus den Schiefern und Sanden. Die Förderung ist extrem umweltverschmutzend. Die USA verweigert die Einfuhr dieses Öles. Die EU berät noch darüber.

Der Zug hielt bis 17 Uhr nur in zwei Orten. Beim zweiten Halt stieg ich aus.
Die Prärie unterteilte ich mir in 1000 km Bahnfahrt und 500 km Fahrrad fahren.
Der erste Teil ist nach 21 h geschafft.

Der Himmel ist am nächsten Morgen grau. Der Wind blies mir heftig entgegen. Die Wolken zogen in die andere Richtung.
Auf den vielen Wiesen grasten wenige Kühe. Große Ställe bei den weit auseinanderliegenden Gehöften sah ich aber nicht.
Einige Felder liegen brach. Die Einsaat hätte wohl schon erfolgen müssen. Insgesamt wurde wenig darauf gearbeitet.

Die Silhouetten der Siloanlagen ragten wie Kathedralen in den Himmel. Die großen Anlagen waren an den Eisenbahnschienen. Jeder Farmer hat diverse kleinere Silos aus Wellblech am Gehöft stehen. Die alten Scheunen zerfallen langsam.

Die Artenvielfalt der Vögel ist sehr reduziert. Auf den Wasserflächen waren nur Enten zu sehen, keine Gänse oder Reiher. Der Vogel mit den roten Flecken am Flügel ist vielfach vertreten. Er sitzt gerne auf dem Schilfrohr und fliegt zirpend auf, wenn ich vorbeifahre.
Die Monokulturen von Weizen- und Wiesenflächen hinterlassen ihre Spuren.

Am späten Nachmittag zieht eine Gewitterfront auf. Ich sah die Blitze bereits in der Ferne zucken. Die nächste Ortschaft war nicht weit. Dort suchte ich mir eine feste Unterkunft.
Die Gewitter- und Regenschauer hielten bis in die Nacht an.

Der Donnerstagmorgen begann mit Sonnenschein. Aber bereits zum Mittag verfolgte mich über 35 km ein kräftiger Regenschauer. Der Wind blies aus dem Süden und traf mich seitwärts. Das Radeln war bedeutend einfacher als am Tag vorher. Die Landschaft war – wie gehabt – flach bis leicht hügelig. Wiesen mit wenig Kühe, Weizenfelder und ab und zu ein See oder etwas Sumpf. Die Prärielandschaft hat ihren Reiz mit der Weite und dem vielen Himmel. Dazu gehört auch das schnelle Radeln auf den geraden Straßen mit wenig Verkehr. Es gefällt mir. Bin jetzt in der Provinz Manitoba.

Mit meinem Essengehen ist es auf dem Lande nicht so einfach. Ich habe keine Lust die Kettenlokale Chicken Chef, Cosy Chicken, Family of Hamburger oder wie sie alle heißen zu besuchen. Es fehlt mir ein wenig die Gemütlichkeit und ein leckeres Essen.

Der Freitag war ein Tag wie ihn sich jeder Radler wünscht. Kräftiger Rückenwind, Sonnenschein und gute Straße. Durch die flache Landschaft zu fahren war einfach ein Vergnügen ohne große Anstrengung.
Für wen die Nestvorlage im Teich ist, weiß ich nicht. Ich sah sie häufiger.
Die Gleisarbeiter haben für alles vorgesorgt. Wenn es nur nicht zu sehr schüttelt.

 

Jun 112012
 

55. Reisetag

2394 km

 

Etwas Wehmut kommt auf. Ich verlasse die Rocky Mountains. Noch intensiver die Natur zu sehen, zu erleben ist kaum möglich. War es der Höhepunkt meiner Reise oder nur einer?

In den Wilderness Hostels hatte ich am Abend Gesellschaft. Diese werde ich in der nächsten Zeit nicht haben. Ich verlasse eine beliebte Reiseroute.

Die Wolken hingen am Morgen tief unter den Bergen. Ich fuhr los. Es regnet viel an diesem Tag. Die Straße folgte dem Athabaska River, der weit über die Ufer getreten war. So verließ ich die Rocky Mountains. Immer mal ein Blick zurückwerfend.
Viele Seen waren zu sehen, manche hatten trotz des Regens ihre Türkisfarbe erhalten.

80 km weiter in Hilton ist die Einfahrtsstraße wie fast in jeder Stadt. Motels, Tankstellen und große Verkaufshäuser. Der Stadtkern ist schwer auszumachen. Ich übernachtete in einem Motel.
In Hilton gibt es ein Bibergebiet. Da wollte ich hin, um den Biber zu sehen.
Der Biber wurde mir vor ca. 30 Jahren als Namenstier zugeordnet.
Er baut seine Burg in einem Teich aus einem Haufen Holz und Lehm. Der Eingang ist unter Wasser. Der Teich ist von ihm gestaut, damit der Eingang immer unter Wasser bleibt. Als Vegetarier ist er gerne Blätter von jungen Bäumen. Aktiv ist er am Abend und Morgen.
Abends besuchte ich ihn. Er war anwesend.

Am Morgen schien die Sonne. Ein Blick zurück zeigte noch einmal am Horizont die Schneeberge. Der Wind stand günstig. Ich kam auf dem breiten Highway mit wenig Verkehr schnell voran. Die Landschaft war abwechslungsarm: Wald.
Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage nur Regen vorausgesagt. Ich entschied, bei der nächsten Möglichkeit die Bahn zur Weiterfahrt nach Osten zu nehmen. Im Ort Edson angekommen fand ich auch den Bahnhof. Alles war zu, Güterwagen standen herum. Neben dem Bahnhof war eine Tagesstätte, da fragte ich nach. Die Hilfsbereitschaft war groß. Für mich wurde telefoniert und reserviert. Der Zug kommt am Abend und wird für mich halten.

Bin noch einmal um die Ecke zum Bahnhof gegangen um zu sehen wie man an die Gleise kommt. Ein Bahnarbeiter sagte mir, er hätte noch nie einen Personenzug hier halten gesehen.

Den Nachmittag konnte ich in der Tagesstätte verbringen. Der Ort bot nichts, was ich hätte sehen mögen. Ich wurde von der Mitarbeiterin nach Hause zum Abendessen eingeladen. Die Zeit bis zur Zugankunft war interessant überbrückt.

Der Zug hielt um 20 Uhr. Mein Fahrrad kam in den Gepäckwagen. Ich nicht weit entfernt auf einen Sitz. Die Zugfahrt war von mir eingeplant gewesen, nur 200 km später in der Stadt Edmonton. Am nächsten Tag werde ich wohl 1000 km weiter im Osten ankommen, in der Provinz Saskatchewan. Mitten in der Prärie.

Die Überlandstrecken der Bahn sind in Kanada eingleisig mit Ausweichsabschnitten für den Gegenverkehr. Entsprechend häufig muss auf den Gegenzug gewartet werden. Die Güterzüge dominieren. Bis zu fünf Diesellokomotiven ziehen die kilometerlangen Waggonreihen. Container sind übereinander gestapelt. Oberleitungen gibt es nicht.

Jun 092012
 

53. Reisetag

2234 km

20.078 Höhenmeter

 

Manchmal nicht breiter als einen Meter. Vom Gebüsch, Geröll und umgekippten Bäumen fast verdeckt. Ich hätte herüberspringen können. Tief hatte sich der Maligne River in den Kalkstein eingegraben. Mit Wasserfällen und gurgelnden Schlünden. Der feine immerwährende Nebel ließ an den Hängen farbenprächtige Moose und Flechten wachsen.
Der Canyon ist für die Touristen erschlossen. Mit Brücken und abgesicherten Wegen.

Von Jasper kommend durchwanderte ich ihn am Nachmittag. Der Fluss führte viel Wasser. Zusätzlich mündeten reißende unterirdische Bäche aus dem Kalkgebirge nach dem starken Regen der letzten Tage in den Canyon.

Auf 1750 m Höhe liegt der Maligne Lake. Türkisgrün, umgeben von Wald, Schneebergen und Gletschern. Hier entspringt der Maligne River. 40 km weiter unten im Tal hat er sich seinen Canyon geschaffen.

Ich wurde von Christina, die ich häufig auf der Nordroute durch die Nationalparks getroffen hatte, am nächsten Morgen mit dem Auto mitgenommen. Muss so bei unbeständigem Wetter keine 80 km Fahrrad fahren und 600 Höhenmeter bewältigen. Wanderwege entlang des Sees gibt es kaum. Wir waren mit einem Schiff auf dem langgezogenen See unterwegs gewesen, um das andere Ende mit den Schnee- und Gletscherbergen näher sehen zu können.

Seit Tagen bewege ich mich im riesigen Nationalparkgebiet. Habe bereits eine Strecke von 500 km darin zurückgelegt. Mit Ausnahme des Ortes Jasper und einigen Touristenunterkünften zersiedeln keine privaten Häuser die Landschaft. Es gibt weder Holzwirtschaft, Steinbrüche noch Staudämme. Nur die Straße durchquert das Gebiet.

Der Nachmittag endete mit Regen. Am Abend schlich ein Schwarzbär um das Hostel. Ich stand an der Tür (innen), da lief er in 1 m Entfernung vorbei. Beide waren erschrocken. Das Plumsklo ist außerhalb, der Schlafraum auch. Beim Gang durch die dunkle Nacht sah ich viele Schatten, die sich im Schein der Taschenlampe bewegten. Es war ein wenig unheimlich.

Die Weiterfahrt am Samstag verschob ich wegen des Dauerregens. Ich fuhr in die 10 km entfernte Stadt Jasper ins Hallenbad mit Dusche und Sauna. Eine Waschalternative zu den Wilderness Hostels ohne fließend Wasser.
Um den letzten Blog ins Internet zu stellen musste ich in einer Bäckerei drei Stück Kuchen essen. Pro Stück erhielt ich 20 Minuten Zugang zum Internet.