Jun 302012
 

74. Reisetag

3859 km 

 

Es gibt jetzt nur noch den Trans Canada Highway. Über ca. 200 km führt keine weitere Straße von West nach Ost durch das riesige Land. Im kleinen Ort Shabaqua endete am Mittwochabend meine Nebenstrecke auf dem Highway 11.

Am Morgen startete ich sehr früh. Bei 20 Grad radelte es sich angenehm. Das erste Ziel war der Kakabeka Falls (donnerndes Wasser). Hier stürzt sich der Kaministiquia Fluss 40 m in die Tiefe. Das Wasser zeigte seine gewaltigen Kräfte.

Die für kanadische Verhältnisse große Stadt Thunder Bay war in der Mittagszeit erreicht. Fuhr durch endlose Einfamilienhaussiedlungen, einen richtigen Stadtkern suchte ich vergebens. Nichts lud zum Verbleiben ein, wollte aber auch nicht weiter fahren.
Es war heiß. Ein Hostel liegt etwas außerhalb, wurde mir gesagt.
Auf dem Weg dorthin hielt ich an einem „Organic Cafe“. Solche Restaurants waren selten zu finden. Es gab ein vorzügliches Reis-Gemüsegericht. Zu diesem wurde ich eingeladen als sie mein bepacktes Fahrrad sahen und von meine Tour hörten.
18 km fuhr ich entlang einer ruhigen Straße zur Hausnummer 1594. Ich zweifelte schon, ob es das Hostel geben würde.

Manchmal ist es schwierig die richtige Entscheidung zu treffen. Hätte in den letzten Tagen einfach schon nach 40 km (also am Vormittag) auf einen vorhandenen Campingplatz fahren sollen. Der nächste kam für mich nach weiteren 100 km. Das war anstrengend. Diesmal hätte ich in der Stadt in einem Motel unterkommen können. Habe es nicht gemacht.

Das Hostel liegt ruhig, ist wunderschön. Vollgepackt mit vielen Gegenständen aus Asien, Afrika und vom Müll. Alls ich ankam jagte gerade eine Katze ein Squirell (Eichhörnchen) durch die Räume. Küche und Kühlschrank nebst Inhalt wird gemeinsam (gegen Erstattung) vom Inhaber  Lloyd (76 Jahre), Ehefrau und Gästen benutzt. Zwei Nächte bin ich der einzige Gast, dann kamen weiterer Gäste an. Konnte ausschlafen, faulsein, Wäsche waschen und hatte Internetanschluss.

Um Bären zu sehen muss man nicht in die Rocky Mountains fahren. Einfach auf die Müllkippe gehen. Am Abend waren 5 Bären dabei den Müll zu durchforsten. Gras fressen ist eine mühsame Angelegenheit. Den ganzen Tag ist der Bär am Grasen und wird kaum satt. Da ist der Müll nahrhafter. Die Müllbären sind eigentlich ein Problem, da die Bären sich zu sehr an die Menschen gewöhnen. Die öffentlichen Abfalleimer sind deswegen bärensicher. Bioabfälle können nicht gesammelt werden.
Mit Lloyd machten wir einen kleinen Ausflug zur Kippe. Er hatte auch dort den Recyclingwagen für Bücher aufgestellt. Anschließend nahmen wir ein Bad in dem nahen Fluss.

Das Hostel liegt oberhalb des Lake Superior. Die Dimensionen sind für uns Europäer kaum vorstellbar. Der See hat die Größe Österreichs bzw. die 150-fache Fläche des Bodensees. Der größte Teil liegt in den USA mit vielen Städten und Industrie am Ufer. Auf der kanadischen Seite leben nur wenige Menschen.
Den See werde ich nördlich umrunden.

Übrigens: Ein Handy kennt hier keiner. Das Ding heißt hier self phone.

 

Jun 272012
 

 71. Reisetag

3748 km

 

In der Nacht kamen die Wölfe und sie bedrohten mich. Das Geschrei der Krähen in der Morgendämmerung um 4.45 Uhr beendete den Traum. Was steckt nur alles in mir?

Bin wieder gut eingeschlafen und bei strahlendem Sonnenschein aufgewacht.
Ein Frühaufsteher ist aus mir geworden: vor 7 Uhr. Für Zeltabbauen, Zusammenpacken und Kaffee kochen und in Ruhe trinken benötigte ich 2 h. Dann ging es auf die Straße.
Hinter jeder Kurve ein neuer See. Wer hat den vielen Seen hier wohl die Namen gegeben? Hinter jeder Kuppe gleich eine neue in Sicht. Immer Wald, die von der Eiszeit geschliffenen Felsen, Sumpfflächen und Seen. Die Bäume sind eher kümmerlich. Ihre Wachstumsbedingungen sind nicht mehr so gut wie in Britisch Columbia. Beeindruckend sind die großen Seen mit ihrer tiefblauen Farbe und den vielen Inseln. Den Türkiston der Bergseen erreichen sie nicht.

Eine schöne Landschaft – anfangs. Ab dem dritten Tag wurde sie für mich monoton. Es gab wenige Abwechslungen bei der Fahrt.

2 Fahrradreisende, die mich vor Kenora überholt hatten (nach einem Plausch), traf ich auf einem Parkplatz wieder. Ich konnte mit einer passenden Speiche ihre Panne beheben helfen. Ihr Fahrtempo war schneller als meins. Wir trafen uns auf dem nächsten Campingplatz wieder.
Über mir ließen sich Adler vom Wind treiben.
Geier unterbrachen ihre Mahlzeit am Straßenrand, wenn ich mit dem Fahrrad vorbeikam.
Es gab wunderschöne Biberburgen in den Sumpfseen. Die Burgfamilie ließ sich nicht sehen.
Die Straße vor mir flimmerte – auf ihr ein See?  – eine Fata Morgana! Am Verdursten bin ich nicht.
Auf einem Campingplatz fragte ich, ob es einen Laden gibt. Der nächste Laden ist 80 km entfernt. Hatte mein Zelt gerade aufgebaut, da wurde mir ein Teller mit warmen Spagetti und Gehacktem gebracht. Habe sie mit/trotz der Beilage mit gutem Appetit verzehrt. Wurde zu einer Motorbootsfahrt auf dem See und anschließendem Fischessen eingeladen. Beim selbstgemachten Wein war es ein schöner Abend geworden.
Glühwürmchen blinkten in die Nacht. Die Seetaucher ließen ihre wunderschöne Melodie erklingen. Im Morgengrauen weckten mich die Krähen unsanft.
Die Moskitos sind da. In Mengen. Hatte mich ganz eingehüllt, nur die Haare vergessen zu schützen. Das war die Angriffsfläche, die ich noch Tage später fühlte.
Wegen der Tageshitze einen Frühstart gemacht. War am letzten Tag um 5 Uhr aufgestanden. Konnte die Startzeit auf 1 h verkürzen.
Unspektakulär lief vor mir ein Schwarzbär über die Straße. Wir schauten uns kurz an. Dann gingen beide ihren Weg.
Die vorletzte Zeitzone überschritten. Es gilt die Eastern Time Zone.

Über Tage war es heiß, meist keine Wolken am Himmel. Der Wind stand ungünstig. Insgesamt eine anstrengende Strecke gewesen. Es kann nicht alles nur schön sein.

Ich fuhr auf dem Königshighway. Vieles ist hier königlich und scheint noch am Vergangenen zu hängen. Das Regierungsland ist das Crownland. Die Polizei ist die Royal Police. Kürzlich wurde die Armee wieder in die Royal Armee umgetauft. Natürlich ist die Queen auf jeder Münze drauf.

Jun 222012
 

66. Reisetag

3192 km

 

Der Wind blies von vorne. Der Regen zog von hinten auf. Ab frühen Mittag begleitete er mich den ganzen Tag.
Um den Verkehr auf dem Trans Canada Highway zu vermeiden, wählte ich eine Nebenroute. Sobald Winnipeg hinter mir lag wurde es ruhig auf der Straße. Felder, Busch, Wald und Sumpf wechselten bei flacher Landschaft ab. Ein Reh stand am Straßenrand, sonst gab es keine erwähnenswerte Ereignisse. In den Dörfern ist auch nichts los. Um wenigsten etwas Aufmerksamkeit zu erhalten werden die Ortsnamenschilder mit weiteren Informationen versehen: Geburtsort von Hockeyspieler xy, bekannteste Hebamme der Region oder größte 4. Hockeyliga u.a. Der Ort Rennie brachte es auf den Punkt.

Am Abend in der Dorfbar (in meiner Unterkunft) eine Pizza gegessen. Vor dem Bestellen hatte ich glücklicherweise herausgefunden, dass Peperoni eine Wurstsorte ist. Generell wird eine Bar dunkel gehalten. Falls Fenster vorhanden, werden diese Lichtdicht verschlossen.
Am nächsten Morgen im Nebenraum (mit Fenster) gefrühstückt. Es trafen sich zum Kaffeeklatsch die älteren Herren des Ortes. Es wird nur Kaffee getrunken. Ein kostenloser Refill ist selbstverständlich. So ein Herrenkreis war mir an vielen Orten aufgefallen.

Draußen schien endlich mal wieder die Sonne. Der Wind kam von hinten. Eine Freude sich von ihm treiben zu lassen. Mit dem verschwinden der letzten Felder hatte ich die Prärie verlassen. Busch und Wald dominieren, durchsetzt von kleinen bis großen Seen mit Sumpflandschaften. Felsen treten zu Tage – die Gesteine des kanadischen Schildes.

Der Kanadische Schild ist der geologische Kern des nordamerikanischen Kontinents. Er umfasst die nördliche Hälfte des Halbkontinents und besteht aus Gesteinen, die zum Teil mehrere Milliarden Jahre alt sind. Während der letzten Kaltzeiten war der Kanadische Schild nahezu vollständig von Inlandeis bedeckt, seine Oberflächenformen sind noch heute durch das damalige Inlandeis geprägt. Es gibt keine bizarren Felsformationen. Die Landschaft ist geprägt durch den Wechsel von kleinen und großen schildförmigen Erhebungen mit vielen Seen in den Senken. Im Klartext: es geht immer rauf und runter.

An einem See mit vielen Wildgänsen machte ich Halt. Sah die ersten Pelikane (Foto von ihrem Abflug).
Am Abend war Zelten angesagt. An einem kleinen See auf einem offiziellen Campingplatz ohne Dusche und Trinkwasser.

Der lang verschwundene Trans Canada Trail tauchte wieder. Am nächsten Morgen auf ihm gestartet. Der Trail war sandig, zugewachsen und manchmal etwas zu steil. Bei meiner reduzierten Fahrgeschwindigkeit konnten selbst fliegelahme Bremsen mich verfolgen. Bei der nächsten Gelegenheit wieder zum wenig befahrenen Highway gewechselt. Dort umkreisten mich deutlich weniger Plagegeister.

Die ruhige Straße hatte bald ein Ende. Die Fahrt ging weiter auf dem vielbefahrenen Trans Canada Highway mit breiten Seitenstreifen. Ich erreichte die Provinz Ontario. Sie ist fast dreimal so groß wie Deutschland und hat eine West-Ost-Ausdehnung von 2000 km. Fast 20% der Fläche ist mit Wasser bedeckt. Es soll über 250.000 Seen geben. Die nächsten Wochen werde ich in dieser Provinz reisen.

Heute ist der Campingplatz in Kenora mein Ziel. Er liegt am Lake of the Woods, ein 4.500 Quadratkilometer großer See mit vielen Inseln. Wer genug Geld hat kann sich eine der über 14.000 Inseln auf diesem See kaufen. Die Stadt ist eher langweilig, so dass ich morgen weiterfahren werden. Die Strecke wird wieder einsam. Die nächst größere Stadt ist 500 km entfernt, dazwischen liegen nur 2 kleine Orte.

Verzögerungen beim nächsten Blog sind also möglich.

Jun 192012
 

63. Reisetag

2934 km

 

Nach fast 3000 Fahrradkilometer bin ich in der Mitte Kanadas angekommen, zuzüglich 1000 km Bahnfahrt. Die Stadt Winnipeg ist für mich die erste Großstadt nach Vancouver. (Edmonton hatte ich nachts mit dem Zug durchfahren.) In ihr leben ca. 670.000 Einwohner, fast 60% der Bevölkerung Manitobas.

Die Bevölkerung ist gegenüber den ländlichen Gebieten wieder multikulturell.
In Winnipeg leben viele Dunkelhäutige, die Nachkommen der Ureinwohner Kanadas, in meist ärmlichen Verhältnissen.
Grundlage für die „Verwaltung“ der Urbevölkerung ist in Kanada der Indian Act (Indianergesetzbuch), das im Laufe der 200 Jahre verschiedenen Reformen unterlag, nie jedoch den Ureinwohner als gleichberechtigt anerkannte. Es wurde nie versucht die indianische soziale Struktur zu erhalten. Sie wurde durch das westliche Gesellschaftssystem zerschlagen. So ist die Lage der Indianer trotz staatlicher Unterstützung miserabel und aussichtslos.
Viele Reservate sind heruntergekommen. Das Einkommen wird (wegen der Steuerfreiheit) durch Kasinos verdient. Der Alkoholkonsum ist ein großes Problem, die Kriminalitätsrate hoch.

Wie alle Städte in Kanada ist Winnipeg eine junge Stadt. In einem Stadtteil gibt es aber renovierte Warenhaus- und Kontorgebäude aus der Zeit um 1900. Dort sind kleine Restaurants, Cafés und Geschäfte untergebracht. Hier fühle ich eine gewisse Atmosphäre.
Der neue Teil mit den Shopping Malls könnte in jeder Stadt stehen.
Ein nicht beeindruckendes Chinatown gibt es auch.

Wenige Wolkenkratzer ragen in den Himmel. Zur Zeit wird an einem großen Museum gebaut. Ich weiß nicht ob es schön wird, eher bizarr modern. Man möchte etwas Auffallendes bauen. Ein Museum zur Geschichte und Bevölkerung der Provinz Manitoba gibt es bereits. Ich hatte es heute besucht.

Schön für das Auge sind die vielen Wandmalereien. Sie lenken von den sonst weniger anspruchsvollen Gebäuden ab.
Mein Essen ist wieder vielseitig geworden. Kann zwischen indischen und vegetarischen Restaurants auswählen.
Zwei Tage Stadt genügen mir. Freue mich auf meine Weiterfahrt morgen.