Sep 052012
 

141. Reisetag

8504 km

 

Die Fähre spuckte mich um 9 Uhr aus. Ich war jetzt auf Neufundland. Die Uhr stellte ich eine halbe Stunde vor. Sebastian, mein zweitägiger Begleiter fuhr direkt nach St. Johns. Ich wollte einen Bogen Richtung Süden zum Cape St. Mary fahren. In Placentia konnte ich noch einmal einkaufen. Es ging in die Einsamkeit. Auf der Karte tauchten einige Namen auf. Häufig gibt es dort nur eine Bucht oder ein paar Häuser.
Der Wind blies günstig aus Nordwest.

Die Landschaft auf der Halbinsel ist geprägt durch ein Plateau in 120-150 m Höhe, mit steil abfallender Küste. Auf meiner Strecke flossen acht Flüsse ins Meer.
Jeder grub mit seinem Bett eine tiefe Furche ins Plateau. Die Küstenstraße ging also achtmal steil auf Meeresniveau herunter und wieder hoch. Die Steigungen waren anstrengend. Oben angekommen kamen die Kräfte schnell zurück. Als Belohnung gab es die Sicht auf die Steilküste. Kaum ein Auto fuhr an mir vorbei. Nach 60 km gab es auf Plateauhöhe einen Campingplatz. Mitten in der Einsamkeit, glücklicherweise mit Restaurant und einer überraschend guten Fish & Chips-Mahlzeit. Dazu ein Bier. Auf Neufundland benötigen die Läden keine spezielle Lizenz für alkoholische Getränke.

Die Sonne ging über Straße und Landschaft unter. Nach eintretender Dunkelheit verzog ich mich bald ins Zelt und kroch mit warmer Hose und Pullover in den Schlafsack. Die Außentemperatur betrug nur noch 10 Grad.

Der nächste Tag begann mit Sonnenschein. Heute wollte ich die Vogelkolonie am äußersten Zipfel der Halbinsel besuchen. Da diese nur 13 km entfernt war schlief ich ein wenig länger und ließ mir Zeit. Die Fahrt dorthin ging über eine Ebene mit Sumpf- und Graslandschaft auf geteerter Straße. Der kärgliche Nadelbaumbewuchs erreichte kaum meine Größe.

Am Ende der Straße führte ein Wanderweg über 1,5 km zum Vogelfelsen. Hier tummelten sich zehntausende Gannet-Vögel (google-translate konnte mir keinen deutschen Namen dafür nennen) auf einem Felsen. Gut zu beobachten von einem nahen Felsvorsprung aus. Das Meer rauschte in 100 m Tiefe.
Vom Familienleben in einer Vogelkolonie bekam ich einiges mit. Wenn ein Vogel startete reckte er lange sein Hals in die Luft, wahrscheinlich um den Wind mit einzuplanen. Landet ein Vogel bei seinem Partner wird erst mal lange und wild geschnäbelt (als hätten sie sich Wochen nicht gesehen). Dann erst bekommen die Jungen ihr Futter. Landet ein Vogel zu dicht bei einem anderen wird gezankt. Manchmal nur mit anfauchen, mal auch mit einem kräftigen Biss in den Nacken. Die Nachbarn schauen interessiert zu. Bei der Vogeldichte ist es gar nicht so einfach einen freien Platz zum Landen zu finden. Jedes Vogelpaar hatte wohl einen bestimmten eigenen Platz.

Lange habe ich auf der Wiese neben dem Felsen gesessen und zugeschaut. Gestört haben die vielen Fliegen, die es hier gab. Nur sechs weitere Menschen kamen und gingen in dieser Zeit.
Das Meer unter mir hatte eine tiefblaue Farbe, die in Türkis wechselte, wenn die Wellen auf die Felsen stürzten. Das Rauschen wurde vom Vogelgeschrei übertönt.

Beim Zurücklaufen spürte ich die Einsamkeit und Weite der Landschaft. Sie lösten Gefühle von Melancholie, unbestimmter Sehnsucht, aber auch ein wenig Schwermut in mir aus.
Ich freute mich hier sein zu können.

Die Rückfahrt war etwas beschwerlicher gegen den Wind. Ich hatte Zeit und kein Gepäck dabei, der Wind störte nicht einmal.
Am Campingplatz aß ich wieder Fish & Chips und begab mich ans Blogschreiben.
Mittlerweile trübte es sich ein. Es steht wohl ein Wetterwechsel bevor.

Eine sachkundige Leserin aus der Agnesstraße berichtete mir, der Gannet ist ein Baßtölpel.

Sep 032012
 

139. Reisetag

8414 km

 

An diesem Tag ist Labour-Day, ein Hauptfeiertag in Kanada. Alle Ferien gehen zu Ende. Die meisten Läden haben geschlossen. Es wird nur noch wenige kanadische Touristen geben.

Der Tag startete gemütlich für mich. Einschecken für die Fähre war um 15 Uhr, Abfahrt um 17 Uhr.
Sie benötigte 14 Stunden um die 450 km nach Newfe-Land wie Neufundland hier heißt zurückzulegen. Es ist eine Eisbrecher-Fähre, gebaut 2002 von den Howaldtswerken in Kiel.
Fuhr zwischen Schottland und Belgien, dann Estonia, Finnland und Deutschland. Seit 2008 ist sie für die Neufundlandroute gechartert. Aufkleber aus dieser Zeit waren noch vorhanden.
Für 10 Jahre sieht sie in meinen Augen bereits ziemlich gebraucht aus. Der Rost nagt.

Hunde und Katzen mussten in die Käfige. Viele Passagiere hatten eine Kabine gebucht, manche übernachteten auf nicht sehr bequemen Liegesitzen.
Ich verbrachte ausgestreckt die Nacht auf einer gepolsterten Bank im Bar- und Aufenthaltsraum. Terrorisiert wurde ich von 2 laut hörbaren unterschiedlichen Fernsehprogrammen – die ganze Nacht. Keiner schaute zu. Leiser oder abzustellen ging nicht. Meine Ohrstöpsel hatte ich leider in meinem Gepäck gelassen. Die Fahrzeuge waren wären der Fahrt nicht zugänglich.
Es gab die üblichen Essens-, Trinken- und Unterhaltungsmöglichkeiten. Die schwache Internetverbindung ließ mich nicht meinen Blog ins Netz stellen.

Die Fährfahrt bringt mir die zeitliche Endlichkeit meiner Kanadadurchquerung in Erinnerung. Normalerweise ist in St. Johns (der Hauptstadt der Provinz Newfe-Land) so eine Fahrt nach dem Passieren aller kanadischen Provinzen zu Ende. Bisher gab es für mich die Gedanken an das Ende meiner Tour nicht. Da werde ich schon ein wenig wehmütig. Natürlich freue ich mich auch auf zu Hause. Tief in mir schlummern aber noch Fernwehwünsche.

Der Aufenthalt in Neufundland liegt vor mir. Viele Reisende berichteten von einer einzigartigen Landschaft (mit vielen Bergen) und sehr freundlichen Menschen.
Voller Spannung werde ich diesen Abschnitt am Morgen nach der Ankunft der Fähre anpacken.

Sep 022012
 

138. Reisetag 

8408 km 

51.337 Höhenmeter

 

Die Nacht zur Abwechslung mal in einem richtigen Bett verbracht. Auch nicht schlecht. Zumal eine kräftige Regen- und Gewitterfront vorbeizog.

Das „Meer“ gehört noch zum Golf von Sankt Lawrence. Es ist sehr Nährstoffreich und deshalb beliebt bei den Walen. Die beabsichtigte Whale-Watching Tour fiel wegen starkem Wind leider aus. In den nächsten Tagen wohl auch.
So radelte ich weiter auf dem Cabot Trail. Diesmal quer durch das Binnenland zur anderen Inselseite. Rundherum nur Wälder, Täler und Berge. Ich war noch im Nationalpark.
Anfangs flach, aber schon nach wenigen Kilometern ging es steil in die Höhe. Deutlich steiler als am Vortag. Der Wind half mir etwas. Es war trotzdem sehr anstrengend mit all meinem Gepäck in 3,5 km 400 Höhenmeter zurückzulegen. Kurz vor der Passhöhe gab es einen kräftigen Regenschauer.
Damit hatte ich meine steilste Strecke in Kanada, bezogen auf die Länge, hinter mich gebracht. (So hoffte ich.) Deutlich steiler als die Straßen in den Rocky Mountains.
Oben angekommen ging es über eine Ebene mit Busch, Gras und zerzausten Nadel- und Laubbäumen. Hatte gehofft noch einmal Elche zu sehen. Diese trifft man eher früh am Morgen oder abends – das ist nicht meine Reisezeit.
Bald ging es wieder in die Tiefe. Bei der Talfahrt mit Sicht aus Radfahreraugenhöhe wunderte ich mich, dass ich die Bergfahrt überhaupt geschafft hatte. Es ging sehr steil nach unten, fast auf Meereshöhe, über einen Bach. Danach gleich wieder 100 m in die Höhe.

Ich schwächelte an diesem Tag ein wenig. Sofort schlichen sich in die Gedanken die bequemen Vorstellungen: Wie schön ist es zu Hause. Warum machst du die Tour und willst du ewig weiterfahren.

Bereits gegen Mittag suchte ich den Campingplatz auf. Der nächste wäre in 30 km Entfernung gewesen. Noch bevor ich mein Zelt aufbaute hielt ich auf einer Bank einen Mittagsschlaf. Hatte eine wunderbare Sicht über die Küste. Bin jetzt am Atlantischen Ocean.
Am Abend wurde ich von zwei amerikanischen Paaren zum Wein und Unterhaltung eingeladen. Bis der Regnen kam. Verkroch mich ins Zelt. Die Nacht war unruhig mit wenig Schlaf. Ein kleiner Sturm zog über mich dahin. Das Heulen kündigte jeweils die Böe an, die das Zelt auf den Boden drückte. Nur durch meine Einlage flog es nicht weg. Wasserdicht war es und kein Riss in der Zeltwand. Am Morgen stürmte es weiter. In einer kurzen Regenpause konnte ich das Zelt nass einpacken. Gefrühstückt hatte ich trocken in einer Schutzhütte. Auf dem Zeltplatz traf ich einen anderen Radler, der in die gleiche Richtung fuhr. Wir sind zusammen losgefahren und hatten in etwa die gleiche Geschwindigkeit. Der starke Wind stand uns meist zur Seite. Es ging viel über die Berge, mit wundervollem Blick über die Küsten.
Der auf der Karte angegebene Zeltplatz zur Übernachtung war schon vor Jahren geschlossen. Die Touristeninformation wusste davon nichts. Sie hatte uns noch die Kilometerzahl dorthin mitgeteilt Auf dem Gelände bauten wir unser Zelt trotzdem auf. Es war bereits spät und eine einsame Gegend. Nachts heulten die Koyoten (oder Wölfe) den Vollmond an. Die Gänsehaut kam augenblicklich. Ich versicherte mich, mein Bärenspray hatte ich mit ins Zelt genommen. Schlief bald wieder ein.
Zum Morgen hin kroch die Kälte zu mir und ich tiefer in meinen Schlafsack. Den hatte ich in den letzten Zeit nur als Decke verwendet. Der Sommer neigt sich dem Ende zu.

Wegen der Kühle wollten wir im nächsten Ort frühstücken. Die nächste Gelegenheit bot sich erst 30 km später. Wir waren bereits auf einem viel befahrenen Highway. Dieser brachte uns nach Sydney. Dort kaufte ich mir mein Fährticket für die Überfahrt nach Neufundland für den nächsten Tag.

Aug 302012
 

135. Reisetag

8207 km

 

Der Regen prasselte, der Wind heulte und das Meer rauschte. Dazu noch wirre Träume. Richtig ausgeschlafen war ich nicht. Der Regen hörte gegen Morgen auf. Der Wind blies noch kräftig. Ich verzog mich zum Frühstücken wieder in den Wäscheraum.
Das Zelt verpackte ich nicht ganz trocken.

Die Auseinandersetzung mit der Naturgewalt Wind ging weiter. Er kam von Westen. Meine Richtung war der Norden. Mal schob er mich (häufiger), mal kämpfte ich gegen ihn. Musste mein Steuer fest in die Hand nehmen um auf der Straße zu bleiben. Am Vormittag fegte der Wind die Wolken fast weg, nachmittags kamen diese jedoch mit einem kurzen Schauer zurück. Ich war mir nie ganz sicher ob es gleich wieder regnen würde.

Neben mir das aufgewühlte Meer, die Brandung und die Steilküste. Auf der anderen Straßenseite die höher werdenden Berge. Hatte häufig eine weite Sicht über Meer und Küste. Das Umfeld war rauer geworden. Das Fahren machte trotz Anstrengung Spaß.

Mir ist etwas kalt. Die Temperaturen waren über Nacht gesunken. Werde zum ersten Mal seit Monaten am nächsten Tag Stiefel anziehen.

Ich fahre jetzt auf dem Cabot Trail. Eine Straße für anspruchsvolle Radler. Am Abend baute ich mein Zelt in der Nähe von Cheticamp in dem Cape Breton Highlands National Park auf.
In der Region um Cheticamp leben wieder die Acadians. Es wird französisch gesprochen und es gibt wieder die große Kirche mit dem silberglänzendem Dach.

 

Die Nacht verlief weitgehend ruhig, wenig Wind und kein Regen. Am Morgen machte ich mich startklar für die Berge. Zunächst im steilen Auf und Ab an der Küste entlang. Dann in 4 km auf 400 Höhenmeter. Der Wind half mir in dieser steilen Stunde. Er blies heftig von hinten. Auf der Höhe angekommen, stoppte ich für einen zweistündigen Trail. Mein Rad und Gepäcktaschen schloss ich an ein Schild an. Habe in Kanada keine Angst dass irgendetwas wegkommt. Der Wandertrail ging über das Hochlandplateau in ca. 450 m Höhe. Die kärglichen Bäume waren mit Flechten überzogen. Häufig standen nur noch die Gerippe. Dieses Gebiet ist ein Elchgebiet. Ich hatte Glück. Nicht weit vom Weg entfernt stand er und nahm sein Mittagessen in Form von Tannengrün ein.

Der Wanderweg führte weiter an den Rand des Plateaus mit Weitsicht über das Meer. Der Wind blies heftig. Ich konnte kaum stehen.

Die heutige kurze Radfahrt (36 km) endete mit einer steilen Abfahrt auf Meeresniveau. Musste sehr auf den Seitenwind achten, damit er mich nicht umwirft.
Im kleinen Ort Pleasant Bay gibt es eine kleine Jugendherberge. Dort verbrachte ich die Nacht.